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Ausgespielt

Ausgespielt

Titel: Ausgespielt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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hätte sehen können, wer noch dabei war. Ich ging zur Tür, entriegelte sie und zog sie einen Spalt weit auf. Henry, Lewis und William standen zusammen in der Einfahrt. Lewis und William hatten beide einen dreiteiligen Anzug an, während Henry wie gewohnt Shorts, T-Shirt und Flipflops trug. Er hatte den Kombi aus der Garage gefahren, und nun lud Lewis sein Gepäck hinten ein.
    Auf einmal ertönte ein leiser Piepton, woraufhin William seine Taschenuhr aus der Weste zog und nachsah, wie spät es war.
    Dann holte er ein kleines Päckchen Studentenfutter heraus, öffnete mit großem Getue das zugeschweißte Zellophan, das unüberhörbare Knistergeräusche von sich gab. Henry warf ihm einen verdrießlichen Blick zu, ohne jedoch sein Gespräch mit Lewis zu unterbrechen, das sich um nichts Besonderes zu drehen schien. Ich machte leise die Tür wieder zu, froh, dass wenigstens ein Konflikt friedlich gelöst worden war – so hoffte ich zumindest. Starke Gefühle sind in der Realität schwer aufrechtzuerhalten. Ganz egal, wie schlecht wir uns auch behandelt fühlen, es ist nicht leicht, sich seinen Groll zu bewahren, selbst wenn er gerechtfertigt ist. Die Wut auf jemanden dauerhaft warm zu halten verursacht (manchmal) mehr Aufwand, als die Sache wert ist.
    Um zwei rief Reba an. Da ich von Natur aus außerstande bin, einem klingelnden Telefon zu widerstehen, war ich kurz davor, zum Hörer zu greifen. Mit großer Willenskraft beherrschte ich mich und ließ den Anrufbeantworter übernehmen. »O Mann, ich hatte gehofft, Sie wären da. Ich hatte gerade einen Riesenkrach mit Lucinda und muss Ihnen unbedingt davon berichten. Ich habe sie praktisch in hohem Bogen rausgeworfen, natürlich nicht wirklich, sondern nur in übertragenem Sinne. Aber rufen Sie mich auf jeden Fall an, wenn Sie Zeit haben, dann erzähle ich Ihnen alles. Außerdem müssen wir noch über etwas anderes 292
    sprechen. Bye.«
    Kurz nach halb vier rief sie erneut an. »Hey, Kinsey, ich bin’s noch mal. Hören Sie neuerdings Ihre Nachrichten nicht mehr ab? Ich drehe hier oben langsam durch. Ich muss unbedingt mit Ihnen reden, also melden Sie sich, sobald Sie nach Hause kommen, okay? Sonst übernehme ich keine Verantwortung mehr dafür, was ich tue. Hahaha. Das war ein Witz … mehr oder weniger.«
    Um halb sechs hinterließ sie nur noch ihren Namen und die Bitte um Rückruf.
    Am Montagmorgen ging ich ins Büro und vergrub mich in die Arbeit, die ich in der Vorwoche vernachlässigt hatte. In der Morgenzeitung hatte ich von der Schießerei im Parkhaus gelesen. Nun würden die Detectives von Drogendezernat und Mordkommission des STPD ihre Zusammenarbeit mit der
    Sonderabteilung für Bandenkriminalität aufnehmen, indem sie Zeugen befragten und Spuren verfolgten. Die Zahl der Bandenmitglieder in Santa Teresa ist weitgehend stabil, und ihre Aktivitäten stehen unter genauer Beobachtung. Allerdings ziehen immer mal wieder Bandenmitglieder aus Olvidado, Perdido und Los Angeles durch unsere Stadt, vor allem an verlängerten Wochenenden, wenn die Homeboys genau wie andere Leute ein bisschen Tapetenwechsel brauchen.
    Erfreulicherweise machen Polizisten aus diesen Städten ihrerseits Ausflüge nach Santa Teresa, so dass die Gangster, ohne es zu wissen, nach wie vor unter dem wachsamen Auge der Gesetzeshüter stehen.
    Ich hörte erst am späten Montagnachmittag wieder von Reba, als ich von der Arbeit nach Hause kam. Zum Glück hatte sie sich nicht im Büro gemeldet, wo ich aus Gründen der
    Professionalität gezwungen bin, ans Telefon zu gehen. Zweimal hatte sie in meiner Wohnung angerufen und zuerst um die Mittagszeit und dann noch einmal um 14 Uhr eine Nachricht hinterlassen. Anfangs klang sie noch fröhlich, doch im Lauf des 293
    Tages wurde ihr Ton immer kläglicher. »Kinsey? Ju-hu! Hatten Sie erwähnt, dass Sie verreisen wollen oder so? Ich glaube eigentlich nicht, aber genau weiß ich es nicht mehr. Tut mir ja Leid, dass ich so penetrant bin, aber Beck ist wieder hier, und ich werde langsam tierisch nervös. Ich weiß echt nicht, wie lange ich das noch aushalte. Ich fahre jetzt zur Holloway, um in ein Gläschen zu pinkeln und mit ihr zu palavern. Dann müsste ich eigentlich zu einem AA-Treffen, aber das lasse ich, glaube ich, ausfallen. Zu deprimierend, wissen Sie. Rufen Sie mich auf jeden Fall an, wenn Sie das hier hören. Ich hoffe, es ist alles in Ordnung. Bye.«
    Es war schwer, sie jetzt im Stich zu lassen, nachdem ich ihr in der Vorwoche so bereitwillig zur

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