Ausgetanzt
umstrukturieren und
Sitzungen abhalten, wie sie alles noch effizienter machen könnten – angeblich.
Der neue Chef – Country Manager nennen’s das jetzt«, äffte Ellen, »ist
Deutscher und läuft ständig g’sackelt herum. Er gibt den großen Ton an. Glaubt
er zumindest. Katharina kennt ihn.«
»Ist das so ein junger, gelackter Typ?«
»Ja, aber woher weißt du …?«
»Ich war vorhin bei ihr im Frisiersalon. Einer, auf den deine
Beschreibung passt, ist von dort weg. Privatkunde, sagt Katharina. Aber
vielleicht ist er nur einfach ein … Lover?«
»Geh, Katharina hat nie mit wem was. Nicht, dass ich wüsste.«
»Stille Wasser sind bekanntlich tief.«
»Da sagst du was Wahres.«
Berenike nahm einen Schluck Tee. »Ah, das tut gut.« Sie
mochte den Duft von Lindenblüten. Eine Weile sagte keine was.
»Jetzt ist bei Koromar wieder böses Blut, weil sie noch mehr
Jobs abbauen wollen. Kennst es eh. Vielleicht ist der Sven deswegen weg. Er
sagt mir ja nichts. Verhalten tut er sich höchst sonderbar. Schon seit Wochen.«
»Er arbeitet in der Security, richtig?«
»Ja.«
»Da muss er sich wohl keine Sorgen um seinen Job machen. Das
ist doch das große Thema heutzutage. Industriespionage und so was.«
»Stimmt. Aber wenn der Mehmet auch noch zu spinnen anfängt …«
»Mehmet ist Svens Boss, hat mir Amélie erzählt.«
»Ja, darauf bildet sich die Beste was ein. Als hätt sie dem
Mehmet Leben eingehaucht, wie diese Geschichte damals in Prag mit dem Golem.«
Berenike kannte die Legende: Der Golem war von Rabbi Löw aus
Lehm erschaffen und anschließend zum Leben erweckt worden, um die Prager Juden
vor Verfolgungen zu schützen. Immer wieder hatte man ihnen Ritualmorde an
nichtjüdischen Kindern vorgeworfen. Nun sollte der Golem insbesondere vor dem
Pessachfest durch die Stadt streifen und Nichtjuden davon abhalten, tote Kinder
in das Judenviertel zu werfen. Damit wollte man solche Anklagen verhindern.
»Sven weiß halt viele Interna aus der Firma«, fuhr Ellen
fort. »Die werden sich hüten, ihn zu kündigen. Jetzt haben’s grad ein Problem
mit anonymen Drohungen. Per Mail. Bei einigen der Vorwürfe geht es um … nun ja,
heikle interne Themen. Hat er mir erzählt. Bei unserem letzten Streit, da ist
es aus ihm herausgebrochen. Wegen der Sache steht er sehr unter Druck.
Wahrscheinlich ist er deswegen wieder im Großeinsatz. Mah, früher haben’s
einfach einen Portier g’habt. Heute heißt das Security, und es nutzt nix! Die
Mitarbeiter sind eh alle ang’fressen. Noch einen Tee?«
»Nein, danke. War gut, aber genug. Ich muss dann eh los.«
»Hat dein Jonas schon eine Spur?«
»Bitte! Nicht ›mein Jonas‹.«
»Ah so?« Forschend sah Ellen Berenike an. »Na ja, die
Polizei. Das mit dem Freund und Helfer ist auch nicht immer wahr.«
»Nein, wem sagst du das.«
»Man müsste selbst was tun.«
»Genau. Drum würd ich gern mit dem Sven reden.«
»Sven, ja ja, natürlich.« Ellen sah blass aus, viel zu blass
für ihren dunklen Teint.
»Könntest du ihm ausrichten, dass er mich anruft, bitte?«
Klimpernd rührte Ellen in der leeren Teetasse, starrte auf
das Geschirr.
»Ellen, was ist wirklich los?«
»Ich …« Krachend flog die Tasse um. »Oh!« Ellen nahm sie,
stellte sie wieder hin. »Er ist schon seit … einer Weile nicht da. Am Handy
meldet er sich auch nicht. Du glaubst doch nicht …?«
Berenike fühlte sich müde, so müde. Sicher bekam sie Fieber.
Diese Kälte! Sie wollte den Kopf in die Hände legen und einfach nur schlafen.
Hinlegen wäre fein. »Ich glaub gar nix, Ellen. Hast du es bei seiner Familie
probiert?«
»Fehlanzeige.«
»Ellen, sei ehrlich, seit wann hast du ihn nicht gesehen?«
»Du wirst weiß ich was denken. Er ist seit vorgestern weg.«
»Seit Caros Tod also.« Berenike würgte an einem Kloß im Hals.
»Ja.« Ellen sprang auf.
»Du weißt, was das bedeutet.«
»Natürlich.« Ellen rannte durch das Zimmer. Kam wieder
zurück. »Ich glaube, er hat was von einer Besprechung gesagt, und da fehlen
auch ein paar von seinen Sachen. Mehr weiß ich nicht. In sein Zimmer darf ich
ja nicht. Er ist schon die längste Zeit so komisch.« Sie stolperte über die
Ecke eines Teppichs, fing sich gerade noch.
»Inwiefern?«
»Was inwiefern?« Ellen schaute mit ihren wunderschönen blauen
Augen ins Leere. »Früher war er mein Traumprinz.« Sie umarmte sich selbst und
trat zum Fenster, vor dem der Regen monoton plätscherte. »So süß war er.
Leidenschaftlich. Ganz anders als
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