Ausgetanzt
Gesichter der Menschen.
Berenike wich so gut es ging den Rinnsalen auf der Straße aus.
Plötzlich kam ihr die Trachtenfrau von vorhin entgegen, sie
strebte auf den Frisiersalon zu.
»Ich habe nachgedacht«, böse deutete sie hinter Berenike, in
die Richtung, in der Katharinas Geschäft lag, »es war wirklich vorgestern, als
diese Frau schon um 17 Uhr zugesperrt hatte! Das hätte es bei ihrer Mutter
nicht gegeben.«
»Danke schön, Frau …?«
»Fini, sagen Sie einfach Fini.«
»Frau Fini. Auf Wiedersehen.«
Oder besser nicht, ging es Berenike durch den Kopf. Sie
dachte an Katharinas seltsame Entschuldigungsversuche für Svens Verhalten. Am
besten, sie suchte ihn gleich noch persönlich auf. Hoffentlich war er zu Hause.
Sie wollte von ihm hören, was passiert war, nachdem er mit Caro Katharinas
Frisierstudio verlassen hatte. Und ein Tratsch mit Ellen würde auch guttun. Um
über das Erlebte hinwegzukommen.
Froh darüber, eine Entscheidung getroffen zu haben, bog
Berenike auf die Straße nach Obertraun ein. Sie sah immer wieder in den
Rückspiegel, aber diesmal folgte ihr niemand. Kein grüner Wagen und auch sonst
niemand.
Acht
Lindenblütentee
Obertraun lag wenigstens in der Nähe. Aber das
Wetter! Der Regen setzte aus, das düstere, drohende Grau blieb. Sie sah sich
ineinanderschiebende Wolken und dachte an Ellen. Berenike konnte sich kaum
vorstellen, sich in der Freundin so getäuscht zu haben. Aber gut, sie kannten
sich erst seit einigen Monaten. Auch wenn sie schnell vertraut miteinander
geworden waren. Zumindest aus Berenikes Sicht. Das mochte Ellen ganz anders
betrachten. Die Vorstellung, dass Ellen eine andere, eine ihr fremde, böse
Seite haben sollte, verwirrte Berenike, sie brachte es einfach nicht mit dem
Bild zusammen, das sie von der Freundin hatte. Vielleicht hing alles mit Sven
zusammen, über den Berenike viel weniger wusste als über Ellen. Wie seltsam, in
so einem verwirrenden Gespinst gefangen zu sein, in dem sämtliche Spuren nur
immer dicker in die Verwicklung führten. Dazu machte sich jetzt Halsweh
bemerkbar. Kein Wunder bei dem Wetter! Eiseskälte umschloss ihren Körper, ihr
Herz.
Mühsam lenkte Berenike das schwere Motorrad, ihre Arme
fühlten sich kraftlos an. Wenn sie nur nicht krank wurde mitten in der
Hochsaison.
Graue Pferde grasten trotz
des Regens auf einer saftigen Wiese. Große, schwere, kalte Tropfen fielen, als
Berenike vor Ellens und Svens Haus parkte. Es lag dicht am Seeufer, ein
typischer 70er-Jahre-Bau versteckte sich in einem großen, verwilderten Garten.
Ein Stück des kniehohen Grases war gemäht worden, auf dem stoppeligen
Rasenstück stand eine undefinierbare Skulptur. Berenike war sich nicht sicher,
ob sie Fremde willkommen heißen oder eher vertreiben sollte.
Auf Berenikes Läuten hin passierte nichts. Während sie
wartete, fror und schwitzte sie gleichzeitig. Kein gutes Zeichen. Endlich kam
jemand von weit hinten aus dem Garten auf sie zugestiefelt. Ellen, in einen
leuchtend blauen Umhang gehüllt.
»Oh, hallo, Berenike!« Ellen schüttelte ihr mit festem Druck
die Hand.
»Grüß dich, Ellen. Darf ich reinkommen? Ich möchte mit dir
noch einmal über Caro reden. Oder eigentlich würde ich gern mit Sven reden.«
»Er … ist nicht da. Ich weiß nie, wo er ist. Aber mich
kontrollieren. Krankhaft eifersüchtig, der Kerl, in letzter Zeit wird’s immer
schlimmer mit ihm. Aber komm nur.«
»Danke.«
Ellen sah erschöpft aus.
»Was für ein furchtbarer Abend.« Mit schief gelegtem Kopf sah
Ellen knapp an ihr vorbei. »Ich hab mir einen Abend mit starken Frauen
erwartet. Ich hab dir sicher schon erzählt, wie sehr mich Caro unterstützt hat.
Und jetzt …« Sie wischte sich die Augen. »Ich halte das alles nicht aus. Caros
Anblick geht mir nicht aus dem Kopf, Berenike!« Ellen schniefte, dann räusperte
sie sich.
»Natürlich, mir auch nicht, Ellen.« Sie umarmten sich.
»Aber jetzt komm endlich weiter! Entschuldige, dass du so
lang gewartet hast. Durchs Dach tropft es«, Ellen stapfte mit kräftigen
Schritten durch die Wiese voraus, »deshalb hab ich mein Atelier ins Gartenhaus
verlegt.« Sie zeigte nach hinten, wo es grün wucherte. »So, herein in die gute
Stube.« Im Haus roch es nach frischem Putz. Ellen führte sie in ihr kuscheliges
Wohnzimmer. Ein alter Holztisch, zur Hälfte mit Papierzeug angeräumt.
Frauenzeitschriften, Rechnungen. Darauf etwas aus modelliertem Ton,
wahrscheinlich ein Kopf, ganz sicher war sich Berenike nicht. An einem
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