Ausgetanzt
in Wien Favoriten
sollte Anknüpfungspunkt sein. Sie brauchte die genaue Adresse, also holte sie
ihren Laptop heraus. Jetzt war sie auch schon wie diese Leute, die überall ins
Netz gingen! Du brauchst eine Telefonnummer? – Internet. Du suchst eine Straße
auf dem Stadtplan? – Internet. Hoffentlich würde sie diese Antwort nicht eines
Tages ihren Gästen um die Ohren hauen, wenn die sich nach einer bestimmten
Teesorte erkundigten!
Das Internet listete drei Lokale mit dem Namen ›Istanbul‹ in
Wien auf. Zur Sicherheit notierte sie alle drei Adressen. Eines befand sich in
der Leopoldstadt, eines in Ottakring und bingo, da war das im zehnten Bezirk,
in der Quellenstraße 61. Sie seufzte. Wenn Amélie nicht angedeutet hätte, dass
die Sache mit Caro zu tun haben könnte, Berenike hätte den Hut drauf geworfen.
Dann also los. Berenikes Herz polterte gegen die Rippen, als
sie in der zunehmenden Schwüle durch die Gassen ging. Sie schleppte sich
Richtung Südtirolerplatz, weil die U1 haarscharf am näher gelegenen Südbahnhof
vorbeischrammte. Sie könnte auch gleich den O-Wagen nehmen, Straßenbahnfahren
war sowieso angenehmer.
Gesagt, getan. In der schlecht gelüfteten Bim ging es den
staubigen Gürtel entlang und dann in die Laxenburger Straße, immer geradeaus.
Noch verkatert, hätte sie die Haltestelle Quellenplatz beinahe übersehen.
Hektisch und schwitzend drängte sie sich zwischen unwilligen Fahrgästen zum
Ausstieg durch.
Draußen erst einmal den Schweiß von der Stirn wischen.
Suchend ging Berenike die Quellenstraße entlang. Matthias Sindelar und Pepi
Bican fielen ihr ein, zwei legendäre Fußballer, die sie an eine Szenerie ihrer
Kindheit erinnerten. Ein Stammkunde des großelterlichen Lebensmittelgeschäfts
hatte vom Fußballwunderteam geschwärmt, zu dem in den 30er-Jahren die beiden
tschechischen Jungs gehört hatten. Berenikes Großmutter, sonst nicht sehr
ausländerfreundlich, hatte dem Kunden gegenüber nur genickt und sein Faible
toleriert. Der Großvater mit seiner Deutschtümelei geriet zwar gern mit
Andersgesinnten aneinander, beim Fußball allerdings war er überregional. Es war
bei Feinkost Roither laut zugegangen, wenn er wieder einmal auf seinen
fußballbesessenen Kunden getroffen war. Das Ende der Diskussion war immer der
Niedergang des österreichischen Fußballs gewesen. Ein Niedergang, seit es
keinen Sindelar mehr gab und keinen Bican. Die beiden waren in dem Viertel rund
um die Quellenstraße aufgewachsen. Dass Sindelar nach seiner Profikarriere ein
Café ›im 10. Hieb‹ besaß, hatte Berenike erst viel später herausgefunden, und
auch, dass es ein arisiertes Lokal gewesen war. Da hatte der Großvater längst
nicht mehr gelebt.
Neugierig sah sie sich nun in der Gegend um. Favoriten, um
1900 scherzhaft Österreichs größte tschechische Stadt genannt, war heute fest
in türkischer Hand. Auch wenn es noch andere Zuwanderergruppen gab, die
türkische Community gab hier ein kräftiges Lebenszeichen. Berenike kam aus dem
Staunen nicht heraus, war sie doch lange nicht hier gewesen, nicht im
Böhmischen Prater mit seinen uralten Ringelspielen und auch nicht im
Amalienbad, wo sie früher gern die gemischte Sauna besucht hatte. Fasziniert
betrachtete sie jetzt türkische Supermärkte und Juweliere. In den Modehäusern
trugen die Schaufensterpuppen Kopftuch und typisch orientalische, den Körper
bis zu den Knöcheln verhüllende Kleider und Kaftans. Aber auch glitzernde
Brautkleider wurden ausgestellt und in einem Laden gab es bunt glitzernde
Bauchtanzoutfits zu bestaunen.
Endlich stand Berenike vor Hausnummer 61 und da war auch das
Café Istanbul, unverkennbar. Es sah aus, als wäre es in seinem vorigen Leben
ein Wirtshaus gewesen, vielleicht sogar ein böhmisches. Durch die Fenster waren
ausschließlich Männer an wackeligen Tischen zu erkennen. Das kannte sie aus
Mehmets Erzählungen, dass türkische Frauen traditionell kaum ins Kaffeehaus
gingen, vor allem nicht die vom Land oder aus den Kleinstädten. Aus solchen
Gegenden stammten viele Zuwanderer, auch das hatte er ihr mal erzählt.
Menschen, die in ihrer Heimat arm gewesen waren, oft nicht einmal lesen und
schreiben gelernt hatten.
Berenike betrachtete das Cafe Istanbul genauer. Neonröhren
beleuchteten die Szenerie, an der Seite stand ein großer Fernseher. Erst liefen
Nachrichten, gefolgt von grünem Rasen. Ein Fußballspiel, irgendeine türkische
Liga, der Satellitentechnik sei Dank war die Übertragung über
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