Ausgetanzt
Zunge
ausklingen. Ein sanftes, verheißungsvolles Versprechen. Mit schwungvoller Geste
hielt Horst ihr das Haustor auf. Sie war nicht sicher, ob sie sich an diese Höflichkeit
gern gewöhnen würde. Drinnen grün-weiß gekachelte Gänge und bunte
Fensterscheiben. Auch hier auf der Wieden hatten die mehr als 100 Jahre alten
Häuser ihre Schönheit in ein nüchternes 21. Jahrhundert gerettet. Mit dem alten
Lift fuhren sie langsam hinauf. Horst stand ihr höflich und nett gegenüber.
Scheppernd sperrte er eine mahagonifarbene, doppelflügelige Tür auf. »Ich darf
vorangehen?«, wandte er sich an Berenike. Sie nickte.
Die Studentinnenbleibe präsentierte sich als Penthouse mit
Blick über die Dächer Wiens. Wirklich armselig!
»Ich muss ein Bad nehmen, daran führt nach der Bahnfahrt kein
Weg vorbei«, sagte Berenike nach ein paar sprachlosen Momenten, »wartest du?«
»Natürlich, gern.«
Sie legte ein frisches ärmelloses Hemd und einen langen Rock
aus chinesisch gemusterter roter Seide heraus. Drei Zimmer, davon eine
Bibliothek. Ein geräumiges Wohnzimmer, ein Schlafzimmer mit überdimensionalem
Himmelbett. Berenike kamen die ungewöhnlichsten Fantasien, als sie schnell ins
Bad huschte. Jetzt aber endlich Schweiß und Dreck von der Fahrt abwaschen! Und
die unguten Energien des neuen Mordfalls. Heute wollte sie sich amüsieren!
Als sie aus dem Bad kam, ein Badetuch umgebunden, saß Horst
in einem Lederfauteuil und sah sie lässig an. Wie nebenbei. Sie zog sich an,
ihre Haut fühlte sich weich an vom warmen Wasser, und überhaupt, weich und
offen und ehrlich. Plötzlich merkte er auf. »Was ist das für ein Geräusch?«
»Oh, mein Handy.« Der Erzherzog-Johann-Jodler, immer noch.
Sie hätte längst etwas anderes programmieren sollen. »Entschuldige.«
»Kein Problem.« Horst ließ sie nicht aus den Augen.
Sie zerrte das Gerät hervor. Jonas, auch das noch. Gerade
jetzt. »Du, ich bin grad …« Sie wandte sich ab, weg von Horsts neugierigen
braunen Augen.
»Nike …«
»Es ist gerade ungünst …«
»Ich wollte dich nur warnen.«
»Du hast mir nichts zu sagen.«
»Lass mich ausreden, ich bitte dich. Du solltest vorsichtig
sein. Dieser entlassene Verdächtige, du weißt schon, …«
»Nagelreiter? Der Sack, der …«
»Ja. Wir wollten ihn zu einer Einvernahme abholen.«
»Aus welchem Anlass jetzt auf einmal?«
»Er … der Mord an Caro passt in sein Schema. Er steht auf schöne Frauen, die er attackiert und
verstümmelt haben soll. Früher. Man nannte ihn … den Beautykiller.«
»Wie bitte? Das ist ja schauerlich.«
»Er hat gern hübsche Mädchen angequatscht in Discos und so.«
»Und das Schwein läuft frei herum?«
»Du kennst den Hintergrund, Berenike. Es geschah aus Mangel
an Beweisen. Das ist nun mal der Rechtsstaat. Aber jetzt hat er sich abgesetzt.
Womöglich nach Wien. Dort hat er eine Freundin aus Jugendzeiten.«
»Und was hat das mit mir zu tun?«
»In Wien ist auch ein Mädchen verschwunden. Gestern.«
»Ein Mädchen? Ein Kind?«
»Eine junge Frau. Die Miss Austria vom Vorjahr.«
»Ach, dann sag doch Frau, bitte.«
»Hmhm«, brummelte es aus dem Hörer.
»Jonas?«
»Ja. Hmhm.«
»Trink Thymiantee gegen den Husten!«
»Danke für den Tipp. Pass auf dich auf, ja?«
»Hej, ich bin in dieser gefährlichen Stadt aufgewachsen,
schon vergessen?«
»Es ist gefährlich, wenn du herumschnüffelst. Und du machst
alle Zeugen rebellisch.«
»Und ich dachte noch, du rufst an, weil … das wäre ja zu viel
verlangt.« Sie hustete jetzt auch. »Ich ermittle, weil sonst nichts weiter
passiert. Du weißt, wie nah mir die Sache geht.«
»Natürlich weiß ich das. Wie könnt ich es vergessen. Meine
liebe …«
»Dir ist ein Verdächtiger abhanden gekommen! Unfassbar. Hast
du wenigstens eine Spur von Sven?«
»Nein. Bei Ellen ist er noch nicht aufgetaucht.«
»Siehst du!«
»Berenike, hör auf damit. Ich tue, was ich kann.« Er stöhnte.
»Glaubst du, mir geht die Angelegenheit nicht nahe?«
Sie hustete immer noch. Horst schlich auf Zehenspitzen heran,
klopfte ihr sachte den Rücken. Sie drehte sich weg. Horst zog eine Augenbraue
hoch.
»Es gibt noch etwas. Neue Graffiti.«
»Ja?«
»Weißt du etwas darüber?«
»Jonas, jetzt lass mich zu Wort kommen. Ich bin in Wien und
es ist gerade total …«
»Du hörst mir zu. Ob dir das passt oder nicht. Oder muss ich
dich auch vorladen?«
»Wieso?«
»Weißt du etwas über diese Graffiti?«
»Verflixt noch mal, hörst du mir nicht zu?
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