Ausgetanzt
Ländergrenzen
hinweg heute eine Kleinigkeit. Auch Amélie und Mehmet hatten seit ihrer
Hochzeit eine Satellitenanlage.
Und in diesem überfüllten Lokal sollte sie Mehmet ausmachen!
Berenikes Kopf fühlte sich immer noch verdammt schwer an, schwer und müde. Sie
schwitzte unter den Achseln und ihre Gedanken flatterten herum wie
aufgescheuchte Vögel. Keinen konnte sie recht fassen. Sie musste sich besser konzentrieren!
In einer türkischen Bäckerei gegenüber stärkte sie sich erst einmal mit einem
Glas Tee, der stark und süß schmeckte. Damn it, mit dem ganzen Koffein, das sie
heute bereits zu sich genommen hatte, würde sie noch an einem Herzinfarkt
sterben … aber sei’s drum! Der Sessel vor dem Lokal gab ein metallisches
Geräusch von sich, als sie sich setzte. Die Cremeschnitte aus Nugat und
Karamell war gut, aber zu üppig. Und sicher nicht aus biologischen Zutaten
hergestellt. Sie sah nebenan Arbeiter Säcke voll Bauschutt aus einem alten
Wohnhaus schleppen und musste husten. Umständlich kramte sie nach dem Bild von
Mehmet, das Amélie ihr in letzter Minute in die Hand gedrückt hatte. Ein
verwackeltes Foto, gelblich-grünstichig, und mit dem Kopierer vervielfältigt.
Mehmet war etwa so groß wie Berenike und schlank. Müde starrte sie das Café
Istanbul gegenüber an, das keinen Schanigarten besaß. Verflixt, was für eine
idiotische Mission. Sie verfluchte sich jetzt schon, dass sie Amélie diesen
Gefallen tat. Die Autos kurvten hektisch vorbei, sie sah auf die Uhr, nach
vier, bald Feierabend. Für die, die Arbeit hatten. Berenike trank den letzten
Schluck und trug das leere Geschirr hinein.
»Vielen Dank für den köstlichen Tee!«, lobte sie.
Die junge Frau mit Kopftuch nickte ihr freundlich zu. »Auf
Wiedersehen.«
Wieder ging Berenike wie zufällig am Café Istanbul vorbei.
Stellte sich seitlich, wartete ab. Wer wusste schon, ob Mehmet wirklich da drin
war. Und wie lange er zu bleiben beliebte.
Lustlos bog Berenike um die Ecke. Drei dunkelhäutige junge
Männer kamen ihr laut redend entgegen und nahmen die ganze Breite des Gehsteigs
ein. Berenike blieb stehen, die Burschen reagierten überrascht, einer rannte
beinahe in sie rein, bevor er auswich. Sie ging weiter. An einem Würstelstand
schwankte ein offensichtlich schwer alkoholisierter Mann und schimpfte auf wen
auch immer.
Auf der Suche nach Lesestoff, um sich die Zeit des Wartens zu
vertreiben, betrat Berenike eine Buchhandlung. Dort gab es zwar keine
Tageszeitungen, dafür entdeckte sie Bücher wie ›Ich lerne den Koran‹, sogar auf
Deutsch. Das Cover zierte ein verschleiertes Mädchen, das nicht älter als vier
oder fünf Jahre sein konnte. Der einzige andere Kunde ließ sie nicht aus den
Augen, während er so tat, als würde er ein Buch aussuchen. Eigentlich dürfte
niemand sie hier kennen, sagte sich Berenike, aber man wusste nie. Jetzt kam
der Verkäufer näher. Die beiden beobachteten sie, während sie einige Worte in
einer fremden Sprache wechselten. Männer – Feinde, da war er wieder, dieser
Satz von Selma. Auch hier. Hier überhaupt. Rasch verließ Berenike das Geschäft.
»Allah!«, rief ein älterer Mann auf der Straße, im selben
Tonfall wie andere ›Jessasmaria‹. Lustig. Jetzt aber zurück zum Ort ihrer
Beschattung, dem Café Istanbul. Vorbei an einem Welcome Store mit Fahne samt
türkischem Halbmond. Drin liefen auf mehreren Bildschirmen Bollywood-Streifen.
Achtsam drehte sich Berenike während des Gehens immer wieder um. Ein älterer
Türke schien ihr zu folgen, schnell schlüpfte sie in eine der offenen
Telefonzellen. Zum Glück ging er weiter. Eine Überreaktion, sagte sie sich, das
kam von dem Schock wegen Caros Tod. Dazu der Kater … sie wachte heute nicht
recht auf.
An der International Baptist Church of Vienna vorbei ging es
weiter. Beim Friseur Ohrid sah sie mehrere Männer sitzen, auch hier lief ein
Fußballspiel im Fernsehen. Endlich war sie zurück in der Quellenstraße. Noch
mehr Menschen waren jetzt unterwegs, hasteten in Richtung Fußgängerzone
Favoritenstraße. Berenike überlegte mit einem Mal, ob Mehmet sich womöglich
Urlaub genommen hatte und gar nicht in Wien war …, womöglich hatte er Amélie
etwas vorgeschwindelt. Was dann, darüber musste sie erst nachdenken.
Und bevor sie sich dessen bewusst war, hatte sie die
Zielperson überraschend identifiziert. Es war eindeutig Mehmet, der aus einem
Laden auf der gegenüberliegenden Straßenseite kam. Mehmet mit seiner schlanken
Figur und diesem
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