Ausgetanzt
so fragte sich Berenike, so lange für
Frauenrecht eingesetzt, nur damit diese jetzt wieder mit Füßen getreten wurden?
Nur weil man nicht wagte, mit einer anderen Kultur anzuecken? Sie dachte an
Caro und an das, was Selma ihr über die Bewohnerinnen des Frauenhauses erzählt
hatte. Sie fühlte mit all den geschlagenen und verletzten Frauen, mit den
erniedrigten und gedemütigten. Nein, sie durfte nicht wegschauen, nicht nachgeben.
Dafür war die Sache zu wichtig.
Ihr Blick glitt über die Versammlung, die sich jetzt
angestrengt über Mokkatassen beugte. Testosteron lag drohend in der Luft.
Berenike tastete nach dem Tuch, es hing nur mehr schief auf ihrem Hinterkopf.
Ihr Jeanskleid fühlte sich mit einem Mal falsch an, ganz falsch. Sie wusste,
dass die anderen wussten, dass sie nicht war, wer sie vorgab zu sein. Sie hatte
gehofft, dass ihre Verkleidung eine Weile glaubhaft wäre, solange sie sich
umschauen wollte. Man hatte sie zu früh enttarnt. Der Kellner griff ihren Arm
fester. Er öffnete die Tür und schon war sie draußen.
Sie stolperte, übersah die Stufe vor dem
Eingang. Mit einem höhnischen Quietschen fiel die Tür hinter ihr zu. Sie
stampfte los, wohin nur mit dieser Wut! Raste an Geschäften vorbei, sah eine
Bäckerei, ›Isfahan‹ hieß sie. Am besten eine Kleinigkeit trinken, um diesen
missglückten Einsatz zu verarbeiten. Sie hämmerte ihre Absätze in den Boden.
Riss sich das Kopftuch vom Kopf, fuhr sich durch die wilden Strähnen, die ihr
wie elektrisch geladen zu Berge standen. Das Kunstfasertuch entfaltete seine
Wirkung.
Sie war der einzige Gast in der Bäckerei, was für ein Glück.
Die junge Kellnerin trug ihre langen schwarzen Haare offen, das gab es zum
Glück auch. Berenike fühlte sich ihr gleich verbunden. »Möchten Sie persischen
Tee? Dafür wird schwarzer Tee mit Kardamom und Rosenblüten zubereitet.«
»Gerne, da bin ich neugierig darauf!« Ein paar Worte
wechseln, normale, belanglose Worte. Runterkommen von der Aufregung, dem Adrenalin.
Berenike setzte sich draußen an einen der Tische, die vor der
Bäckerei aufgestellt waren, so lässig und provisorisch wie irgendwo im Süden.
Im Schanigarten vor dem Wirtshaus direkt nebenan saß ein dickbäuchiger Mann
über ein Bier gebeugt. Unwillkürlich sah sie auf die Uhr. Halb elf am
Vormittag. Fasziniert betrachtete sie ihn. Er machte nichts, gar nichts, saß
nur da, sah nicht einmal die Passanten an.
»Was glotzen Sie so?«, fuhr er Berenike auf einmal an, »die
haben mich gekündigt! Nach 29 Jahren im Betrieb haben sie mich rausgeworfen.«
Er zündete sich eine Zigarette an, hielt sie in seinen fleischigen großen
Händen zwischen Daumen und Mittelfinger. Seine Haut sah verwittert aus, sein
Haar irgendwie verstaubt oder einfach nur grau geworden.
Sie wandte sich kommentarlos ab, als ihr Tee in einem
Silberkännchen serviert wurde, dazu stellte die Kellnerin ein kleines rotes
Glas mit goldener Verzierung auf den Tisch. Berenike lehnte sich zurück, sie
fühlte sich von einem Moment zum anderen unendlich müde. Der Tee duftete
vielversprechend nach Rosenblüten und schmeckte auch so. Ihre Anspannung
begann, sich ein wenig zu lösen. Jetzt kam auch noch ein Teller mit Gebäck.
»Das ist für Sie, vom Haus«, erklärte die Kellnerin. In ihrem Lächeln kann man
versinken, dachte Berenike, das eigene Innere auftauen lassen und zu sich
finden. Oder zu etwas Neuem. Wer weiß.
»Hervorragender Tee«, Berenike griff nach einem Keks. »Und
was ist das alles?«
»Baklava kennen Sie vielleicht.« Die junge Frau deutete auf
ein Stück Blätterteigkuchen.
»Natürlich. Der Mann meiner Freundin ist Türke.«
»Dann haben wir hier getrocknete Feigen, Nüsse und das, was
Sie in der Hand halten«, die junge Frau zeigte auf das zarthelle Gebäck, »ist
unsere Spezialität, persische Mandel-Pistazien-Kekse.«
Berenike knabberte zaghaft daran. »Wow, die schmecken
wirklich köstlich.« Aus dem Geschäft drang leise Musik.
»Sie werden mit Rosenöl gemacht«, erklärte die junge Frau
stolz, »eine Kostbarkeit aus dem Orient. Wir backen sie nach einem alten
Familienrezept.«
»Woher kommen Sie? Wenn ich so neugierig sein darf?« In
Situationen wie dieser brach sich – selten, aber doch – Berenikes bürgerliche
Erziehung Bahn. Dieses Konventionelle, die Höflichkeit, auf die vor allem ihre
Familie mütterlicherseits so geachtet hatte. Heute gingen diese Umgangsformen
im hektischen Stadtalltag mehr und mehr verloren.
»Ich komme aus dem Land,
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