Ausgetanzt
wäre als Nichttürkin erkannt
worden, als Schwindlerin noch dazu. Nicht auszudenken, wenn dann Mehmet davon
erfahren hätte! Er wäre gewarnt. Immerhin kannten sich viele Türken hier in
›Klein-Istanbul‹, wie sie von Amélies Mann erfahren hatte. Und dabei wollte sie
unauffällig im Viertel herumschnüffeln.
Geduckt schlich sie weiter. Plötzlich läuteten
Kirchenglocken. Berenike spürte, wie sich ihr ein Grinsen ins Gesicht schob und
die Anspannung ein wenig nachließ. Ein christliches Gotteshaus mitten in diesem
Viertel!
Jetzt drehte sie schon eine Stunde ihre Runden hier.
Gedankenfetzen jagten durch ihren Kopf. Sie sollte in ihrem
Salon nachhaken, wie es lief. Für eine neue Anfrage wegen einer Veranstaltung
musste sie sich etwas einfallen lassen. Abergläubisch wagte Berenike kaum,
einen Auftrag abzulehnen. Sie brauchte auch mehr Werbung für ihre
Literaturveranstaltungen, im Zeitalter des Wassermanns sollte ihr esoterisches
Angebot doch gefragt sein.
Aber zuerst wollte Berenike Amélie Bescheid geben, was sich
hier abspielte. Nämlich NICHTS. Bloody hell! Die Hitze killte den Rest ihrer
vorhandenen Nerven. Sie spürte, wie sie unter dem dicken Stoff schwitzte. Ihre
Füße taten weh. Am liebsten hätte sie diese dämliche Mission abgebrochen.
Nachdem Berenike im Fast-Food-Laden endlich die Toilette
aufgesucht hatte, gab sie der Sache eine weitere Chance. Sie schlich noch
einmal durch die Quellenstraße. Sie musste an den türkischen Schriftsteller
Orhan Pamuk denken und daran, dass ihr ständig die Zeit zum Lesen fehlte.
Wieder am Café Istanbul vorbei, ein ständiges Dacapo. Täglich grüßt das
Murmeltier oder der türkische Macho in Reinkultur. Kaffee, Zigarette, Bart und
lüsterne Blicke. Da war Berenike bald noch froh über diese Verkleidung! Ein Mann
rempelte sie an, drehte sich nach ihr um, grinste und machte eine obszöne
Handbewegung. Wütend wollte Berenike ihm den Mittelfinger zeigen – und hielt
sich erneut zurück. Sie wollte nicht auffallen, um endlich voranzukommen. Sie
wollte dieses Café entern. Ohne weiter zu überlegen, stürmte sie los. Irgendwo
musste sich der türkische Ersatz-Gigolo verstecken. Vielleicht gab es
Hinterzimmer, von denen sie nichts ahnte, oder einen geheimen Ausgang über den
Hof. Sie würde es erfahren. Nichts und niemand konnte sie abhalten. Ready
steady go!
Heftig riss Berenike die Tür auf. Breitbeinig saßen sie da.
Männer, nichts als Männer. Stille, plötzlich, nachdem die Tür mit einem
quietschenden Geräusch hinter ihr zugefallen war. Eine Million Blicke. Viele
saßen da und sahen unbeteiligt drein. Einer wollte ihr gleich wieder die Tür
aufhalten. Berenike überfiel wieder Wut. Überall das Gleiche, welcher
Nationalität die Männer auch waren! Sie rotteten sich zusammen, grenzten Frauen
aus, demütigten sie und Schlimmeres.
Ein hässlicher kleiner Mann spielte an seinem Hosenlatz. Ein
anderer zog provokant an seiner Zigarette, spreizte seine Beine und sah
Berenike herausfordernd an. Der Fernseher lief noch immer. Türkisches MTV oder
so, ohne Ton. Zigarettenrauch vernebelte das Bild. Ein Kellner sprach Berenike
an, sie verstand kein Wort. Aber seine Körpersprache! Er wollte, dass sie
verschwand, ohne weiteres Aufsehen. Das würde sie nicht tun. Nicht ohne zu
checken, ob Mehmet hier war!
Sie brauste durch den Raum, nach hinten, der Kellner ihr
nach. Die Köpfe der Gäste drehten sich. Sie spürte, wie ihr Kopftuch
verrutschte. Streckte schnell die Hand danach aus. Falsch gebunden, es war
sicher falsch gebunden. Sie hatte sich das einfacher vorgestellt. Trat auf den
Saum ihres Kleides. Stolperte einem Mann in die Arme. Der drückte ihren Busen,
rasch und listig, und ließ sie sofort wieder los. Sein Nachbar sah sie ebenso
wuterfüllt an wie der Kellner. Wieder unverständliches Kauderwelsch. Sie
versuchte, dreinzublicken, wie wohl eine Ehefrau dreinblicken würde, die hier
auf Rache sann, weil sich der Partner zu lange herumtrieb. Eine, die vorhatte,
ihren Mann zu verprügeln. Aber das Türkisch, ihr fehlten türkische Worte,
verdammt! Sie hatte nicht bedacht, dass sie wirklich etwas reden würde müssen.
Schön blöd.
Wieder der Kellner. Ein durchdringender Blick. »Gehen Sie.«
Auf Deutsch. »Keine Frauen hier.« Er schob sie zur Tür. Diese bedrohlichen
Blicke von allen Seiten. Wenn arabischer Machismo auf die latente katholische
Frauenfeindlichkeit in Österreich traf, konnte nichts Gutes herauskommen.
Hatten sich ihre Geschlechtsgenossinnen,
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