Ausgetanzt
Den
werden wir jetzt zur Rede stellen!«
Knallend flog die Tür hinter ihnen zu. Sie waren in einem
grauen Gang gelandet, es roch nach Kochdünsten und ein wenig vergammelt.
Überlagert wurde das Ganze vom Geruch nach Desinfektionsmitteln. »Ähm, Gül,
warten Sie.« Berenike musste niesen. Seit es kaum mehr Hausbesorgerinnen in
Wien gab, die im Gebäude wohnten, putzten die beauftragten Reinigungsfirmen am
liebsten gleich mit der stärksten Chemiekeule. »Gül, ich kann verstehen, dass
Sie diese Information aufwühlt.«
»Ich habe eine Riesenwut auf diesen – diesen –«
»Ja, ich auch, das können Sie mir glauben. Meine Freundin …
egal. Ich finde, es ist besser, ich rede erst einmal allein mit Mehmet. «
»Ja?« Gül überquerte gerade einen winzigen Hof, in dem zwei
überquellende Mülltonnen standen. Hinter der einen bewegte sich etwas.
»Ein Ratz?«, schnaubte Berenike erschrocken, aber Gül
reagierte nicht darauf.
»Dieses Arschloch.« Sie sah fauchend zu den Fenstern am
Hinterhaus hoch. »Na schön. Zweiter Stock, Tür 11. Dort finden Sie Mehmet, er
wohnt bei einem Verwandten. Ich muss zurück in mein Geschäft …«
»Wann war er denn zuletzt auf Besuch?«
»Tut mir leid, ich schreibe nicht mit, wann Mehmet sich bei
Hepsen blicken lässt. Selten genug für eine Brautwerbung jedenfalls.«
»Es ist sehr wichtig. Jemand ist ermordet worden …«
Gül riss die Augen auf. »Was? Wie schrecklich. Wer?«
Berenike schilderte in Stichworten, wie sie ihre Tanzlehrerin
Caro tot aufgefunden hatte. Gül schlug sich aufkeuchend die Hand vor den Mund.
Die Details, auch dass Caros Körper in der Mitte zersägt worden war, verschwieg
Berenike der Friseurin.
»Und was hat das mit Hepsen zu tun?«
Berenike zuckte die Achseln. Mit einem zweifelnden Blick,
undefinierbar und überwältigend, ließ Gül sie stehen.
Berenike stieg die Hinterhaustreppe hinauf in
den zweiten Stock. Schwarzer Dreck klebte an den Mauern, vielstimmige
Unterhaltungen drangen aus Wohnungen hinter Türen, die alle anders aussahen.
Eines der Gangfenster war zerbrochen, die Scherben lagen noch am Boden.
Gerade wollte sie bei Nummer 11 klopfen, da öffnete sich die
Tür von innen. Da war er ja, der Star zwischenmenschlicher Unannehmlichkeiten.
Mehmet taumelte und sah Berenike aus unruhigen Pupillen an.
»Hallo, Berenike, was machst du hier?«, fragte er mit
stockender Stimme. Dabei knallte er mit einer Schulter gegen den Türstock. Er
plagte sich sichtlich dabei, seinen Blick auf Berenike zu fixieren. Meist
sprach er Hochdeutsch, jetzt verschluckte er zischelnd manche Buchstaben, es
hörte sich an, als wären in seinen Sätzen viel mehr S verborgen als üblich.
»Schöne Grüße von
Amélie.«
Mehmet stöhnte.
Lauernd sah Berenike den Türken an. »Deine Frau macht sich
Sorgen. Weil sie dich nicht erreicht. Und da ich zufällig in Wien bin …«
Er seufzte. »Aber ich hab ihr doch erklärt, dass ich
geschäftlich voll im Einsatz bin.«
»Na ja, dann ruf sie halt an, um sie zu beruhigen. Was ist
denn so stressig?«
»Meine Position gestattet mir nicht … du weißt schon,
sensible Informationen.«
»Das kannst du der Kaswaberl erzählen.«
»Wie bitte?« Er sah sie verwirrt an.
»Mehmet, lüg mich nicht an.«
»Ich sage die Wahrheit. Stress mich nicht.«
»Ach ja?«
Wie er ihr auf den Busen glotzte. Immer noch trug sie das
lächerliche Kleid. Eindeutig grinsend sah er ihr in die Augen. »Wie gefällt dir
Amélies Tanzkurs?«
»Gut, aber … meine Lehrerin …«
»Ja?«
Berenike bildete sich ein, dass er sie forschend ansah. »Sie
ist tot. Caro war ihr Name. Du kennst sie?«
»Ich erinnere mich an sie, ist das nicht so eine Verrückte
mit … Hühnerfedern?« Er deutete auf seinen Haarschopf und blickte an Berenike
vorbei zum Stiegenhaus.
Sie erwiderte nichts und beobachtete den mitgenommenen, im
Türrahmen lümmelnden Türken genau.
»Komm.« Er warf die Tür ins Schloss und ging hinunter,
Berenike folgte ihm. Sie rechnete jeden Moment damit, dass er stolpern und die
Stiegen hinunterstürzen würde, aber er hatte seinen Körper überraschend gut
unter Kontrolle. Im Hof setzte er sich auf die Stufen vor dem Eingang. Berenike
lehnte sich gegen die Mauer. Sie blickten in ein kleines Fenster gegenüber, ein
weißer Vorhang bewegte sich sachte im Wind. Sie hörte eine arabische Melodie,
dann schrie eine Frau auf. Stille folgte. Unerträgliche Stille.
»Ich bin«, fing Mehmet wieder an, »wegen einer schlimmen
Sache
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