Ausgetanzt
draußen.« Hochfeld komplimentierte alle
übrigen Anwesenden hinaus. Auf dem Gang, auf dem ein dicker grauer Teppichboden
jeden Schritt schluckte, blieben sie stehen. Mehmet, Sven, Berenike und die
anderen Mitarbeiter der Firma, der Mann in Jeans ein wenig abseits. Berenike
erkannte noch, wie der Arzt die Tote sanft umdrehte und bei ihrem Anblick die
Stirn runzelte. Er tastete ihre Brust ab und murmelte: »Interessant …« Dann
fiel die Tür zu.
Neunzehn
Kamillentee… wärmt die Seele
Sie warteten wie die Verrückten. Schlechte
Metapher, dachte Berenike, aus mir wird nie eine Autorin. Schusterin, bleib bei
deinen Leisten, sagte sie sich, bleib Gastgeberin. Wenigstens ein Sprichwort
bekam sie korrekt hin.
Sie gähnte und dachte an den Zug, den sie morgen früh zurück
ins Ausseerland nehmen wollte. Wenn sie jetzt nicht bald schlafen gehen konnte
…
»Ich geh Kaffee machen, sieht aus, als würde das eine lange
Nacht werden.« Mehmet rieb sich die rot brennenden Augen.
»Gibt es auch Tee?«
»Komm mit, Berenike, wir sehen nach. Ich bezweifle es
allerdings.«
Einer der Streifenpolizisten folgte ihnen. »Anweisung«,
murmelte er, als Berenike ihn fragend ansah. »Ich darf niemanden aus den Augen
lassen.«
In einer kleinen Teeküche fanden sie tatsächlich Kamillenteebeutel.
Besser als nichts. Berenike kochte Wasser, während sich Mehmet eine große Tasse
Kaffee aus einer bereitstehenden Thermoskanne einschenkte. Seine Hand zitterte.
»Du solltest es auch lieber mit Kamillentee probieren. Der
beruhigt.«
Er sah sie entgeistert an. »Das willst du wirklich trinken?
Für mich ist das nichts.«
Seine Sache.
Auf dem Weg zurück zum Besprechungsraum sah Berenike ein
Schild mit der Aufschrift ›Toilette‹. Damen, stand da. Wenigstens eindeutig,
ohne die verwirrenden Zeichnungen oder Schuhe, die heutzutage gern auf den
WC-Türen in Gasthäusern montiert waren. Sie stupste Mehmet an und deutete auf
die Tür. Der Polizist nickte ihr zu, die beiden gingen ein paar Schritte
weiter.
Drinnen sah es so unscheinbar aus wie auf allen
Firmentoiletten. Steril weiß, die üblichen Seifen- und Papierhandtuchspender
mit dem Logo einer Reinigungsfirma. Nirgends eine Spur, was Frau Starkmann
passiert sein mochte. Wenn sie überhaupt dieses WC aufgesucht hatte. Sinnierend
schaute Berenike auf der Suche nach einer Eingebung in den Spiegel. Im
Abfalleimer fand sie nur ein zerknautschtes Papierhandtuch. Keine
Lippenstiftspuren. Gosh, dachte sie, andere gehen nach Feierabend aus oder
lesen ein Buch, während sie in fremdem Müll wühlte. Angeekelt ließ sie das Zeug
in den Kübel fallen. Sie drehte das Wasser auf, nahm Seife, wusch sich die
Hände, immer und immer wieder. Sie wandte sich zum Gehen – und erstarrte in der
Bewegung.
Schwärze umgab sie schlagartig. Das Licht war ausgegangen.
Sie versuchte sich zu erinnern, ob sie einen Zeitschalter gedrückt hatte. Aber
nein, da war gar kein Lichtschalter gewesen, die Beleuchtung war beim Eintreten
angegangen, wahrscheinlich Bewegungsmelder. Anklagend schlug das Herz gegen
ihre Rippen. Sie machte ein paar Bewegungen, eigentlich müsste doch das Licht
wieder angehen. Sie wartete – nichts. Dunkel. Schweigendes Dunkel.
Also gut. Die Tür hatte sich links vom Waschbecken befunden,
sie tastete sich daran entlang. Nässe, dann ein Schmerz im Handgelenk. Sie war
gegen irgendwas gestoßen. Don’t panic, redete sie sich zu. Eine Mauer. Kacheln,
kühl unter der Handfläche. Sie überlegte. Wie dumm man im Dunkel wurde! Sie
bewegte sich weiter. Spürte Holz. Eine Schnalle, na bitte. Sie drückte sie –
und erstarrte neuerlich. Abgeschlossen! Sie lehnte sich gegen die Wand. Sie
musste klopfen, natürlich!
»Hallo!«, rief sie, immer wieder. »Hallo, hört mich
jemand? Ich bin hier eingesperrt! Im Damenklo!« Sie horchte. Trat gegen die
Tür. Nichts, keine Reaktion. Sie dachte an das Handy … Das lag irgendwo,
in der Teeküche oder auf dem Tisch neben dem Kopierer, wo sie auf die Polizei
warten sollten.
»Haaaallooooo!« Wieder hämmerte sie gegen das Türblatt,
diesmal mit der ganzen Handfläche. »Mehmet! Sven! Herr Inspektor! Hilfe!
Polizei!« Sie wollte sich wieder gegen das Türblatt lehnen, das wenigstens
nicht so kühl wie diese verdammten Kacheln war. Ließ ihren Oberkörper dagegen
sinken … und fiel … fiel durch die plötzlich offene Tür. Licht blendete sie.
»Berenike, was machst du hier?« Svens Stimme ertönte. Streng
hörte er sich an und sah ihr dabei auf den
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