Ausgeträllert (German Edition)
ich zu Karin.
»Ja, sicher«, sagte sie und setzte sich neben mich auf den freien Schemel.
»Kannst du mich gleich zu Oma Berti fahren? Ich meine, wenn wir fertig sind.«
»Klar. Natürlich. So, jetzt erzähl mal, wann bist du hier angekommen?«
Bevor ich ihr antworten konnte, hörte ich das Klicken einer Kamera direkt vor mir und schaute auf. Mir wurde frontal ins Gesicht geblitzt. Karin drehte sich um und forderte den Fotografen, der sich bis zur halb abgerissenen Met-Brauerei geschlichen hatte, auf, sofort hinter die Absperrung zu verschwinden. Er grinste mich breit an und sagte: »Tolles Motiv, Maggie. Ich schick dir Abzüge.«
Ich sprang auf und schlug nach seiner Kamera. »Lass das sein! Und was machst du überhaupt hier?«
»Was für eine Begrüßung, gnädige Frau. Deine Laune ist nicht besser geworden, seit wir uns das letzte Mal gesprochen haben.«
»Warum sollte sie auch?«, blaffte ich ihn an. »Und jetzt hau ab. Sonst fehlen dir wieder ...« Ich biss mir auf die Zunge. Beinahe hätte ich Rudi verraten.
»Was fehlt mir? Ein paar Reifen etwa?«, sagte er nur und packte seine Kamera ein. »Es ist wie immer spannend zu hören, was du nicht sagst.« Zu Karin sagte er: »Ich darf doch. Ich glaube, wir haben noch ein paar Sachen zu klären. Maggie und ich sind alte Freunde.« Er machte doch tatsächlich Anstalten, sich neben mich zu setzten.
»Sind wir nicht«, sagte ich.
»Erzähl doch mal.«
»Es gibt nix zu erzählen, und selbst, wenn – du wärst der Letzte, der es erfahren würde ...« Und dann wusste ich, kaum dass ich die Worte ausgesprochen hatte, dass ich mal wieder zu viel gesagt hatte.
»Ich bin mir sicher, wir sprechen uns noch, Maggie«, sagte er, drehte sich auf dem Absatz um und verschwand in der Menge.
Mein Magen krampfte sich zusammen, und ich würgte die allerletzten Reste meines Frühstücksbrötchens auf das Stroh. Karin klopfte mir sanft auf den Rücken.
Die Schnabelschuhe des gelben Zwerges schoben sich in mein Blickfeld. Ich schaute auf und er reichte mir eine neue Packung
Gauloises
und sagte: »Soll ich dir bringen. Vom roten Phoenix.«
»Danke«, sagte ich und hustete. »Kannst du mir einen Gefallen tun?«
»Natürlich. Für ein edles Fräulein, das des roten Phoenix Herz erwärmet, bin ich stets zu Diensten.«
»Bring den Fotografen um, der mich hier grad in meinem desolaten Zustand abgeschossen hat. Und hau die Kamera kaputt, wenn’s geht.«
»Ist er zu Pferde?«
»Er ist zu Volvo. Mitternachtsblau mit Kölner Kennzeichen.«
»Wird erledigt, edles Fräulein.« Der Zwerg verbeugte sich und rannte los.
Karin sagte: »Ich hoffe, ich kann mich gleich nicht mehr daran erinnern, was ich hier grad gehört habe.«
»Lass uns bitte woanders hingehen. Präsentierteller ist nicht mein Ding. Außerdem ist mir arschkalt in den nassen Klamotten. Ich glaub, in der Sparkasse sind wir besser aufgehoben.«
»Wer war denn der Typ, den der Zwerg umbringen sollte?«
»Mein Exexex, der Knipser.«
»Was macht der hier, wenn er aus Köln ist?«
»Is mir, ehrlich gesagt, schnurz. Ich werde es sowieso irgendwann erfahren. Und dann isses immer noch zu früh.«
Kapitel 6
Vier Stunden später saß ich frisch geduscht, in eine Wolldecke gewickelt und mit reichlich Kaffee und Zigaretten versorgt in Oma Bertis Wohnzimmer. Da alles, was ich getragen hatte, auf der Leine zum Trocknen hing, wartete ich darauf, dass Richie, Oma Bertis Resozialisierungsprojekt, ein paar trockene Sachen aus Wilmas Wohnung für mich brachte. Sie hatte ihn schon vor einer knappen Stunde losgeschickt, während sie mir Suppe einflößte – garantiert ohne Fleischeinlage. Zwischen »Mund auf, Augen zu« und »einen Löffel für Winnie und einen für Oma«, verkaufte sie vorne im Kiosk Lollis und Eistüten und hatte ein Auge darauf, dass ich nicht ohnmächtig wurde, denn alle paar Minuten packte mich die Erinnerung an die Leiche auf dem Grill, und es schüttelte mich so sehr, dass mir die Zähne aufeinanderschlugen.
Zur Ablenkung hatte Berti für mich einen Stapel Zeitschriften aufs Sofa gelegt. Aber ich konnte mich weder auf die Schwangerschaft von Verona Feldbusch noch auf Effes Autobiographie konzentrieren. Mein Unterkiefer zitterte schon, wenn in der Nähe jemand das Wort ›Mittelaltermarkt‹ auch nur dachte. Als im Radio die Nachricht über das Unglück verbreitet wurde, stürzte ich ins Bad und sagte Oma Bertis Notsuppe adieu. Kaum war ich zurück, stand Berti im Wohnzimmer und hielt mir eine kleine
Weitere Kostenlose Bücher