Ausgeträllert (German Edition)
direkt vor einem Stahlregal und tippte im Sekundentakt seine Nase an das kalte Metall. In solchen Situationen, wenn er kurz vorm Kolbenfresser war, wie Günter Heibuch diese Zustände treffend genannt hatte, die immer dann auftraten, wenn der Stress für Wolfi zu groß wurde, half nur noch Musik.
Das Nasestippen wurde heftiger. »Geratzt, geplatzt, gepatzt ...«
Das Regal wackelte und mit ihm eine ganze Ladung Mehl; die Gläser klirrten, die Dosen schepperten ... »Gekratzt, geritzt, geschlitzt, geflitzt ...«
Himmel hilf ... wo krieg ich jetzt Musik her?
»Rot, rot, rot sind alle meine Kleider«, fing ich in meiner Verzweiflung an zu singen. »Rot, rot, rot, ist alles was ich hab ... darum lieb ich, alles was so rot ist ... weil mein Schatz ein Feuerweh...her...mann ist.«
Wolfi drehte sich um und summte eine halbe Strophe mit. Dann kam er auf mich zu, drückte mich fest an sich und sagte: »Maggie, du kannst nicht singen. Papa ist tot. Dennis ist bald tot. Wolfi ist müde. Wolfi geht schlafen.«
Er ließ mich los und schlurfte hinaus.
»Wolfi, Dennis ist nicht bald tot. Er wird wieder gesund«, rief ich ihm hinterher.
»Du kannst nicht singen und du weißt das nicht«, sagte er, dann fiel die Stahltür hinter ihm ins Schloss.
»Wo er recht hat, hat er recht«, sagte Jorgo.
»Ach, halt doch ... sag mal, seit wann stehst du hier rum?«
»Lange genug. Du kannst echt nicht singen.«
»Habs auch nie behauptet. Weißt du, wo der Ordner für das Catering ist?«
»Den hatte Günni in den letzten Tagen immer unterm Arm. Der is bestimmt nicht hier.«
»Hm«, sagte ich. »Kann sein. Vielleicht hat die Polizei den in Günnis Auto gefunden ... oder vielleicht ist er im Zelt verbrannt.«
Jorgo klappte eine Tiefkühltruhe nach der anderen auf und fluchte leise auf Kroatisch.
»Was suchst du? Deine beiden Freunde? Dimi und Stojko?«
»Dimi und Stojko sind nie meine Freunde gewesen. Kapiert? Die sind Serben und keine Kroaten. Ich bin Kroate. Merk dir das! Und ich suche Pommes frites. Wenn ich gleich die Pommesbude aufmachen will, brauch ich Pommes. Kapiert?«
»Ist ja schon gut.«
Ich warf einen Blick in die Tiefkühltruhen, die deutlich mit
POMMES
beschriftet waren. Sie waren voll mit Tiefkühl-Pommes frites.
»Jorgo, bist du blind? Die Truhen sind doch voll.«
»Das sind nicht die richtigen«, sagte er, knallte den Deckel zu und griff zum Handy. »Gudrun«, sagte er barsch. »Wo kommen diese Scheißpommes her? ... Wie, heute Morgen? ... Okay. Wer hat die bestellt? ... Nein, hat er bestimmt nicht ... Lass gut sein. Ich kümmer mich drum.«
Er wählte sofort eine andere Nummer. Ich hörte ihn in seiner Muttersprache ein paar laute Sätze von sich geben. Dann legte er auf und drehte sich wieder zu mir um. »Alles klar«, sagte er.
»Na, super. Kann ich mal dein Handy haben?«
Jorgo gab es mir widerwillig.
»Du telefonierst doch bestimmt auf’ner Kroatenmafiakarte, jetzt hab dich nicht so.«
Er wollte mir das Telefon wieder aus der Hand nehmen, aber ich ging ein paar Schritte zur Seite und wählte Winnies Nummer. Er ging ran, und ich legte sofort los: »Hallo Winnie. Maggie hier. Haben deine Leute eine rote Mappe oder Ordner oder Schnellhefter in Heibuchs Auto gefunden? Es geht um Leben und Tod.«
Jorgo schaute mich mit großen Augen an.
Ich hörte auf der anderen Seite der Leitung Papier rascheln und wartete. Dann sagte Winnie: »Nein. Steht nicht auf der Liste der sichergestellten Gegenstände aus dem Wagen. Der kann übrigens morgen abgeholt werden. Was ist denn so dringend?«
»Ich bin jetzt Catering-Chef.«
»Das ist in der Tat eine Angelegenheit auf Leben und Tod.«
»Sag ich doch, Winnie. Das ist eine Katastrophe. In der Mappe sind die Notizen von Heibuch fürs Catering ... für die After-Show-Party der Bochumer Nachtigall.«
Winnie pfiff den Hit von La Rose, der den ganzen Tag im Lokalradio lief. Ich hielt das Handy von meinem Ohr weg und rief: »Hör auf zu pfeifen. Winnie, mir geht der Arsch auf Grundeis.«
»Glaube ich gern. Mach doch Carbonara für alle.«
»Herr Kommissar, das ist nicht lustig. Wenn ich das nicht hinkriege, dann ...«
»Jeder sollte mal eine Firma pleitegehen lassen«, sagte er leichthin.
»Ja sicher, du verbeamteter Witzbold.«
»Frag Raoul, ob er dir hilft. Der wird doch alles tun, um Hasselbrink eins auszuwischen. Tut ihm auch bestimmt gut, sich mal drei Tage Frischluft um die Nase wehen zu lassen.«
Ich wollte eben etwas Unflätiges zu Winnie sagen, biss mir
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