Ausgeträllert (German Edition)
Königsberger Klopse gefüllt werden sollten. Abgesehen davon, dass Wolfi den Vormittag damit verbracht hatte, seinen ›Plastiktag’ auszuleben, machte er einen sehr aufgeräumten Eindruck.
Ich war zu niederen Arbeiten eingeteilt worden: schälen, putzen, pellen, schneiden. Wenn ich mit den gefühlten 8.000 Tonnen Schnibbelbohnen für den Eintopf fertig wäre, stand für mich der nächste Punkt auf dem Küchensklavenprogramm: Kartoffeln für die Reibekuchen schälen. Mein Hinweis, dass es im Großmarkt fertige Reibekuchenmasse in großen Plastiksäcken gab, war von Raoul konsequent überhört worden. Mein letzter Versuch: »Aber der Günni hat das immer damit gemacht, wenn die Zeit knapp war«, war von Raoul torpediert worden. »De Günni isse tot …«, hatte er gesagt und noch einen Riesensack Kartoffeln auf den Einkaufswagen geworfen.
»Darf ich wenigstens das Schnitzelwerk zum Kleinmachen nehmen?«
»Besser. Hab isse keine Interesse auf Blut in de Reibkuche.« Bis zum späten Mittag hatten wir den Zeitplan beinahe wieder im Griff und waren auf dem besten Weg, alles, was für diesen Tag auf dem Programm stand, auch zu schaffen.
Gudrun hatte sich nach ihrer Vernehmung im Büro verschanzt und wartete auf die Ankunft von Petra. Wie sagt man einer Frau, die eben erst auf so grausame Art und Weise ihren Mann verloren hatte, dass das letzte Firmengeld auch noch gestohlen worden war? Ich wollte nicht in Gudruns Haut stecken und war froh, dass wir uns hinter unseren Kochtöpfen verschanzen konnten. Zum ersten Mal in meinem Leben empfand ich eine Küche als Hort der Sicherheit – und nicht als Minenfeld hausfraulicher Verstrickungen, denen ich, wie ich genau wusste, nicht gewachsen war. Raoul zeigte, erklärte und machte nicht eine Sekunde lang den Eindruck, nicht zu wissen, was er tat.
Aber es kann der beste Mann nicht in Frieden leben, wenn der böse Nachbar es nicht will: Irgendwann stand der unvermeidliche Jorgo in der Küche.
Kaum hatten er und Raoul sich gegenseitig abgecheckt, konnte man den Anstieg von Testosteron in der Luft förmlich riechen.
Raoul ließ seine schwarzen Augen aufblitzen, als der Kroate sich betont lässig über die Buffetkarte beugte und sagte: »Oh, Panhas-Blinis, garniert mit Pfifferlingen, Schwarzwurzel-Forellen-Aspik, homemade Heringstopf, Schnibbelbohnen-Eintopf, Quer-durch-den-Garten und Linsensuppe. Meine Fresse! Blutwurst auf gebackenen Apfelringen und Armer Ritter, und für die Diva einen Milchreis ›Heimat‹ …« Er hielt das Papier hoch und wedelte damit in der Luft herum. »Für’n Spanier nicht übel … Färbst du den Milchreis mit Sepia-Tinte schwarz, damit er aussieht wie’ne Kohlenhalde?«
Raoul warf sein großes Kochmesser in die Luft und fing es hinter seinem Rücken wieder auf, um sofort und ohne auf sein Brett oder seine Hände zu schauen, in einem Höllentempo weiter auf die Zwiebeln einzuhacken. »Was«, sagte Raoul, »bisse du?«
»Kroate«, antwortete Jorgo, der sich den Fortgang des Duells wohl anders vorgestellt hatte.
»Iss meine von de Berufe«, sagte Raoul.
»Koch.«
»Iss auch«, sagte Raoul. »Worüber du willsse also reden?«
Jorgo machte ein Gesicht, als sei aus seiner Duellpistole lediglich ein Fähnchen, auf dem das Wort
Peng
stand, herausgeflogen. »Was?«, fragte er und kratzte sich den Kopf.
»Guten Tag, übrigens. Was können wir für dich tun, Jorgo?«, funkte ich dazwischen. Raouls Lunte brannte, und dass sie sehr kurz war, wusste ich auch.
»Äh, nix. Ich wollt nur mal gucken«, sagte Jorgo und schlenderte zum großen Herd, hob nacheinander die Deckel der Suppentöpfe an, in denen Raoul mit Schälrippchen und Schweineschwänzchen die Suppenbasis angesetzt hatte.
»Was zu meckern?«, sagte ich.
»Nee, riecht super …«, antwortete er. Man konnte ihm die Enttäuschung darüber ansehen.
»Darf ich also vorstellen: Raoul, Jorgo … Jorgo, Raoul.«
»Jorgo, Wolfi, Raoul – Raoul, Jorgo, Wofli – Wolfi, Jorgo …«, meldete sich Wolfi zu Wort. Dabei hielt er seine Hände hoch und knickte für jede neue Reihenfolge einen seiner großen Finger ein.
»Schon gut, Wolfi«, sagte ich schnell. Er verstummte und wiegte den Kopf im Takt der Musik.
»Und keine Sorge, Raoul bleibt nur für das Catering«, sagte ich zu Jorgo. »Er wird keine Konkurrenz für dich. Er geht nämlich nach Spanien zurück und wird im El Bulli anfangen.«
»Was ist das?«, fragte Jorgo. »Touristenschuppen in El Urinal?«
Raoul verdrehte die Augen, sagte aber
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