Ausgeträllert (German Edition)
jetzt einen Arzt für dich«, sagte ich und griff nach dem Telefonhörer. Ihre Hand schoss über den Schreibtisch und hielt meinen Arm fest. Allmählich bekam ich Angst. Wo war die Glucke geblieben, die immer und für alle ein gutes Wort hatte? Wo war die Frau, die den ganzen Laden im Griff hatte und immer noch einen Ausweg wusste, wenn alle anderen schon rettungslos verloren waren?
»Ich – brauche – keinen – Arzt!«
»Gut. Keinen Arzt. Aber bitte …«
Ihr Gesicht war tränenüberströmt, als sie sagte: »Wir können Günter … abholen … und … beerdigen.«
Ich lehnte mich an den Schreibtisch und wagte es nicht, Petra direkt anzuschauen. Sie wischte sich durchs Gesicht und murmelte: »Entschuldigung. Entschuldigung … ich wollte nicht …«
»Schon gut«, war alles, was mir einfiel.
»Du musst mir helfen. Wen soll ich denn jetzt anrufen? Ich meine, für die Beerdigung. Also …«
»Äh …? Du kennst doch jede Menge Bestatter. Wir haben doch dauernd irgendwelche Beerdigungen.«
»Damit hinterher alle Welt weiß, wie die Leiche meines Mannes ausgesehen hat? Das ist doch die Sensation – glaub bloß nicht, dass die Leute die Klappe halten. Das wird ein Gerede geben. Und … und dem Einzigen, dem ich vertrauen kann, will ich das nicht zumuten. Das war Günnis bester Kumpel. Der soll den Günni nicht so sehen. Und dann noch das Geld für die Beerdigung … Oh Gott! … Ich muss meinen Mann doch ordentlich unter die Erde bringen. Das erwarten die doch alle.«
»Petra … wir verdienen doch Geld«, sagte ich leise. »Komm, das wird schon. Alles läuft – die Metzgerei, der Pommes King … und für das Catering kommt doch auch Geld rein – und zwar ziemlich sofort.«
Der Vertrag von Racic, der am Morgen per Fax gekommen war, lag ganz oben auf einem Papierstapel. »Da, da liegt doch der Vertrag.«
Petra nahm das Papier und guckte es lange an. »Ach ja … das hatte ich …« Sie sprach den Satz nicht zu Ende, sondern guckte mich aus ihren braunen Rehaugen an.
»Petra?«
»Ja? Was …?«
»Ich kann jemanden anrufen. Einen Bestatter. Er ist absolut vertrauenswürdig. Soll ich?«
»Wen denn?«
»Bestattungen Abendroth. Tja, das heißt leider wirklich so. Aber ich hab damit so gut wie nix zu tun, glaub mir. Also Herr Matti wird sich darum kümmern, wenn du willst. Er hat die Beerdigung für Ladislaus gemacht.«
»Ah ja«, sagte Petra. »Und du bist sicher, dass er …«
»Ja. Er ist diskret und verschwiegen. Glaub mir.«
»Und er holt Günter …«
»Aus der Rechtsmedizin? Ja. Das macht er. Er hat ihn auch hingefahren.«
Petra kam um den Schreibtisch herum und fiel mir um den Hals. »Danke, Maggie. Danke.«
Ich war so erschrocken, dass ich mich nicht wehren konnte, und tätschelte ihre Schulter. »Ich ruf ihn an. Sofort. Petra, setz dich bitte wieder hin. Ich ruf ihn an.«
Endlich ließ sie mich los, und ich wählte. Mia nahm das Gespräch an und ich berichtete ihr, um was es ging. Sie versprach, dass Matti so schnell wie möglich kommen würde. Er sei noch unterwegs, aber sie würde ihn auf dem Handy anrufen.
»Wird es lange dauern?«, fragte ich und nickte Petra aufmunternd zu.
»Nein. Er ist beim Einwohnermeldeamt. Wir haben schließlich auch noch andere Tote zu versorgen. Aber es gibt gute Neuigkeiten: Doktor Herzig wird in ein paar Stunden landen. Carmen hat von Singapur aus angerufen. Und Rudi geht es gut. Ich hab gehört, du hast Elli gestern Nacht zurückgepfiffen?«
»Ja«, sagte ich.
»Ich bin stolz auf dich«, sagte Mia und legte auf.
Ich räusperte mich und sagte zu Petra: »Der Bestatter wird bald hier sein. Ich geh dann mal wieder in die Küche.«
»Ja«, sagte sie nur und ließ den Kopf hängen.
»Raoul soll dir was zu essen machen, okay? Ich bring es dir gleich rüber.«
»Nein. Ich will nichts essen. Ich, ich warte jetzt auf den Bestatter. Geh und sag Gudrun, dass ich es nicht so gemeint habe, ja? Schick sie wieder her.«
»Ich glaube, es wäre besser, wenn du es ihr selber sagst.«
Raoul saß allein am Tisch und trank Kaffee.
»Wo sind Wolfi und Gudrun?«
»Nach obe’… Wolfi hat genug gearbeit’, und Gudrun isse au’fertich mit’de Nerve … Aber dasse Junge isse arme dran.«
»Genau genommen sind wir alle arm dran«, sagte ich und schob mir ein Stück kalte Tortilla in den Mund. »Die sind alle kurz vorm Durchdrehen … äh … was mache ich jetzt?«
Raoul wies auf vier große Plastikeimer, die auf der Anrichte standen. »Kuhlhaus.«
»Du hast schon
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