Ausgeweidet (German Edition)
schrecken zusammen. Clemens dreht sich zu den Reportern um. Doch bevor er sie erneut zurechtweisen kann, klingelt sein Handy. Hendrik setzt ihn in Kenntnis: Kirchfeld lebe noch bei seinen Eltern in der Margarethensiedlung in Rheinhausen, bürgerliches Elternhaus. Er hat noch einen Bruder, der in Bonn Jura studiert. Thomas hat drei Lehren abgebrochen und stand wegen schwerer Vergewaltigung einer 15-Jährigen vor Gericht. Er wurde gerade aus Mangel an Beweisen freigesprochen.
»Wann?«
»Gestern Mittag.«
»Ist er vorbestraft?«
»Nein, bis auf die Anklage wegen Vergewaltigung und diverser Ruhestörungen liegt nichts gegen ihn vor.«
Clemens gibt die Informationen sofort an Maria weiter.
»Was läuft denn hier ab? Das kann doch nicht wahr sein. Das sieht ja so aus, als führt hier einer seinen ganz persönlichen Rachefeldzug. Und zwar gegen mutmaßliche Missbrauchstäter, die freigesprochen werden. Denn auch das hier ist ja wohl eine Hinrichtung.«
»Ja, sehe ich auch so. Das Muster kennen wir, obwohl er nicht aufgebrochen wurde. Stattdessen ist er an den Beinen aufgehängt, wie Schweinehälften im Kühlhaus«, überlegt Clemens laut. Er fährt sich nervös durch seine dunklen Locken.
»Und das bedeutet, wenn wir nicht schnell genug sind, war das auch nicht der letzte Tote.«
»Und noch etwas anderes könnte es bedeuten.«
»Was?«
»Der Mörder muss nicht zwangsläufig im Umfeld von Senta Hartmann zu finden sein.«
Maria atmet geräuschvoll aus.
»Du meinst, wir waren die ganze Zeit auf dem Holzweg?«
»Kann sein, muss aber nicht.«
Clemens denkt angestrengt nach. »Bisher war das unser einziger Ansatzpunkt, mehr haben wir im Augenblick auch nicht, aber vielleicht bringt uns die Spurensicherung etwas.« Wieder entsteht eine kurze Pause.
»Anfangs sind wir davon ausgegangen, dass der Mörder wenn nicht gerade eine enge, aber dennoch eine Beziehung zu seinem Opfer hatte. Dann kam mir der Gedanke, dass die Beziehung eher zwischen dem Täter und den Opfern des Toten zu sehen ist. Nun stellt es sich für mich so dar, als wenn der Täter weder zu den Ermordeten noch zu deren Opfern eine reale Beziehung hat.«
»Und das bedeutet?«, fragt Maria irritiert.
»Das bedeutet, nicht die Beziehung allein ist der Schlüssel zur Klärung des Falls, sondern der Auslöser. Wenn wir weiter davon ausgehen, dass unser Täter über fünfzig Jahre ist, dann stellt sich doch die Frage, wieso erst jetzt!«
»Die Suche nach dem Auslöser ist noch schwieriger als die nach der Verbindung. Schon jetzt habe ich das Gefühl, wir suchen die Stecknadel im Heuhaufen«, stellt Maria resigniert fest.
Clemens starrt auf den Boden. »Wenn wir Glück haben, ist der Auslöser der Freispruch von Briest.«
Maria fällt ihm ins Wort. »Dann waren wir bisher doch nicht auf dem Holzweg.«
Die Journalisten, die immer noch auf eine erste Stellungnahme warten, werden wieder unruhig. Clemens geht zu ihnen hinüber und bestätigt den Tod eines Mannes und den Verdacht auf ein Kapitalverbrechen. Trotz der wieder auf ihn niederprasselnden Fragen ist er zu keiner weiteren Aussage bereit und verweist auf die bald einberufene Pressekonferenz.
»An das Überbringen einer Todesnachricht kann und will ich mich nicht gewöhnen«, seufzt Clemens, als er den Porsche startet.
»Hm, geht mir auch so.«
Es ist still während der Fahrt, nur die Stimme des Navigationssystems ist zu hören. Maria hat noch nicht mal Lust, Clemens aufzuziehen, obwohl die neue Errungenschaft – hat er sich doch ein Navi zugelegt – förmlich dazu einlädt. Maria zuckt zusammen, als Clemens plötzlich zu sprechen anfängt.
»Hast du gewusst, dass nur sechsundzwanzig Prozent der Angeklagten bei Vergewaltigungsprozessen auch abgeurteilt werden?«
»Ja, ich weiß. So ein Verfahren ist kompliziert, sobald Aussage gegen Aussage steht. Und wenn dann noch die Gutachter zu unterschiedlichen Resultaten kommen, da möchte ich nicht Richter sein.«
»Ruf doch bitte Christian an.« Kaum ist die Verbindung hergestellt, gibt Clemens weitere Anweisungen.
»Bitte befragt das Personal vom Burghof , ob ihnen etwas aufgefallen ist, die müssten seit elf Uhr wieder vor Ort sein. Soviel ich weiß, lebt der Besitzer im gleichen Haus, also auch den befragen.«
»Sie haben Ihr Ziel erreicht«, ertönt die Stimme des Navigationssystems. Die Margarethensiedlung in Duisburg ist eine ehemalige Arbeitersiedlung und benannt nach Margarethe Krupp. Sie gilt als Musterbeispiel für das aus England
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