Ausgezählt
zu ihnen, dachte Bruno.
Karen hatte ihm das Versprechen abgenommen, dass er nicht mehr zum Wettkampf in den Ring steigen würde. Ihr Leitspruch: Du wirst nicht erst dadurch zum Mann, dass du anderen auf die Birne klopfst.
In der Sporthalle roch es nach Schweiß und Staub. An den Längsseiten hingen Sandsäcke und Maisbirnen von der Decke. Der Trainer zog weiche Matten aus dem Geräteraum und lehnte sie gegen die Rückwand. Janssens Gesicht sah aus, als habe er die schwersten Jahre des Lebens doppelt durchgemacht: eingedrückter Nasenrücken, ein Muster kleiner Narben entlang der Augenbrauen, auf den Wangen ein Netz von Falten, die nicht vom Boxen stammten.
Die gebeugte Haltung des Trainers hatte Bruno immer an die Abwehrstellung eines Kämpfers erinnert. Heute erkannte er den Rücken eines alten Mannes. Es geht zu schnell bei Janssen, fand Bruno. Der Mann war noch keine sechzig.
»Was willst’n hier?«, fragte der Coach.
»Ich hab mir gedacht, ein bisschen Training würde nicht schaden.«
»Die Halle ist klein geworden. Die jungen Leute interessieren sich wieder fürs Boxen. Sogar Mädels machen mit. Zwölfjährige fangen bei uns an. Knirpse, wie du mal einer warst.«
»Damals warst du Onkel Janssen für mich.«
»Lange her, was?«
»Wie geht’s Hannah?«
»Gut. Sie will sich als Model versuchen. Sie zählt jede Kalorie und schlägt sich die Nächte mit irgendwelchen Porschefahrern um die Ohren. Aber sie hat mir versprochen, dass sie ihre Ausbildung zu Ende macht.« Janssen schloss das Tor zum Geräteraum. Er stöpselte den Stecker eines Gettoblasters in die Steckdose.
Bruno fragte: »Für mich wird der Platz doch noch reichen? Bisschen Fitness, das genügt mir. Höchstens leichtes Sparring.«
»An Sparring ist nicht zu denken. Du bist schlaff wie ein Handtuch.«
»Ich hab Waldläufe gemacht.«
»Du warst verletzt. Mach mir nichts vor. Ich lese Zeitung, mein Junge. Was sagt dein Mädel dazu, dass du herkommst? Oder habt ihr euch getrennt?«
Bruno begann seine Hände zu bandagieren. »Wir haben geheiratet und sie ist einverstanden.«
Endlich blickte Janssen ihm ins Gesicht. »Gratuliere und willkommen, mein Junge. Ich hab gewusst, dass du zurückkehren wirst.«
Der Trainer hielt ihm die Hand hin. Bruno klatschte dagegen.
»Glaub aber nicht, dass du mich dazu überreden kannst, wieder in den Ring zu steigen. Damit ist endgültig Schluss.«
Der Alte lachte. Bruno nahm eine Alkoholfahne wahr.
Sie trabten im Kreis durch die Halle. Vierzehn Männer und drei Frauen im gleichen Rhythmus. Türken, Deutsche, Russen, ein Libanese, eine Holländerin. Der Gettoblaster spielte Techno – eine Neuerung, die Bruno dem alten Janssen nicht zugetraut hätte.
Seilspringen. Bruno machte schon in der ersten Minute schlapp. Schattenboxen zu Hip-Hop-Musik. Danach ging es an die Sandsäcke und Matten. Mit den zehn Unzen schweren Trainingshandschuhen trommelte Bruno Kombinationen.
Er rief sich Ebis Mörder ins Gedächtnis – Helmer war in den Zeitungen abgebildet gewesen, doch das Gesicht blieb undeutlich. Stattdessen stellte sich Bruno seinen Schichtleiter vor. Er schaltete um und hämmerte in die Visage von Thann, dem Schnüffler. Ich nehm mal an, Ihr Partner hat Sie beteiligt.
Links-links-rechts. Links-rechts-links. Gerade, Haken – Brunos Arme schmerzten, er schwitzte und rang um Luft. Er war den Sport nicht mehr gewohnt.
In der Hallenmitte markierte ein Seil an vier Pfosten den Ring. Bruno tauchte unter dem Seil hinweg ins Innere. Janssen empfing ihn mit Schlagpolstern an Händen und Unterarmen. Der Trainer deutete Hiebe an, Bruno boxte hart gegen die Pratzen. Immer schneller, Kopfhöhe, Brusthöhe, Haken und Gerade. Angriffe und Konter. Die Jungs und Mädels an den Sandsäcken glotzten herüber.
Sein drittes Comeback als Janssens Schüler.
Der Trainer schrie: »NICHT SO LAHM, DU ALTER SACK! TEMPO, TEMPO!«
Bruno lachte. Er wusste, dass er noch immer schneller reagierte als die meisten. Janssen tobte. Bruno konnte vor Lachen nicht mehr weiterboxen.
Die heiße Dusche, das Rubbeln des Handtuchs auf seinen brennenden Muskeln, die Geräusche der Sportler aus der Halle über ihm versetzten Bruno in Hochstimmung.
Draußen war es kalt geworden. Der Kohlendunst hing beißend in der Luft. Am Zaun lehnte eine junge Frau, groß und schlank. Als Bruno sich mit der Sporttasche durch das Tor drückte, grüßte sie ihn mit Namen. Es war Hannah, die offenbar auf ihren Vater wartete.
Bruno hatte Janssens Tochter
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