Ausgezählt
am 4.2.02 statt.
Als Ursache für seine Aggression benennt W. das Verhalten seiner Kollegen. Im Lauf des Gesprächs bekannte er sich zu Symptomen eines Post-Shooting-Traumas (PST), wie es nach der von ihm erlebten Grenzerfahrung (Schussverletzung, Tod eines Dienstkollegen, eigene Todesangst) zu erwarten ist. Dazu zählen Erinnerungslücken bezüglich des traumatischen Zwischenfalls (psychogene Amnesie), Schlaflosigkeit verbunden mit Albträumen, in denen er das Ereignis durchlebt, sowie irrationale Schuldgefühle.
W. projiziert diese Schuldgefühle auf seine Kollegen. Er ist der Überzeugung, sie machten ihn verantwortlich für den Tod des Partners. Er kapselt sich ab und reagiert ablehnend auf Versuche, ihn zu integrieren. In rationalisierender Abwehr sucht er nach Ursachen, die außerhalb des traumatischen Ereignisses liegen. Er wünscht die Dienststelle zu wechseln, um in einem unbelasteten Umfeld zu arbeiten. W. hegt nach wie vor unterschwellige Aggressionen gegen Ritter und andere Kollegen der Kriminalwache. Am 29.1. habe er erfahren, dass eine interne Untersuchung gegen ihn wegen Verstoßes gegen Dienstvorschriften eingestellt worden sei. Von einer solchen Untersuchung habe er nichts gewusst. Er verdächtigte Ritter, ihm in den Rücken gefallen zu sein. Indem er den Streit als Missverständnis bezeichnet, beweist er seine mangelnde Einsicht in die tiefer gehende Problematik.
Das Gespräch berührte auch W.s Kindheitserfahrungen. Dabei stellte sich die Trennung seiner Eltern als traumatische Erfahrung heraus. W. war damals neun Jahre alt und suchte die Schuld am Weggang des Vaters bei sich – eine altersbedingt übliche Reaktion. Zweifellos verstärkt dieses Trauma W.s aktuelles PST.
Gravierendere PST-Ausformungen wie Hoffnungslosigkeit, Suchtverhalten und Zerstörung sozialer Beziehungen außerhalb des Dienstes sind bei W. nicht festzustellen. Insbesondere seine Ehefrau scheint ihm großen Halt zu geben.
Wie er in künftigen Krisensituationen reagieren wird, ist nach diesem Gespräch nicht abzusehen. Eine Therapie lehnt W. leider ab.
Abschließend sei darauf hingewiesen, dass die Polizeibehörde sich einer psychologischen Vorbereitung aller Einsatzkräfte auf Grenzerfahrungen wie auch der therapeutischen PST-Begieitung im Einzelfall nicht länger verschließen sollte. Die juristische oder polizeitaktische Nachbearbeitung allein kann die seelische Gesundheit traumatisierter Beamter nicht herstellen.
Hochachtungsvoll
Sigrid Romberg
MEMO
Von: Kriminaldirektor Wolfgang Dresbach, Leiter ZKB
An: Kriminalrat Kurt Geißler, Leiter Kriminalgruppe 4
Kopie: /.
Status: streng vertraulich
Datum: 15.2.02
Betr.: Versetzungsantrag KOK Bruno Wegmann
Lieber Kurt,
beim besten Willen – ich bekomme KOK Wegmann in keiner anderen Dienststelle der Zentralen Kriminalitätsbekämpfung unter. Du kannst dir denken, warum. In allen Kommissariaten gibt es Vorbehalte (sein Verhalten am 26.11. letzten Jahres war auch wirklich keine Empfehlung). Jetzt heizt auch noch die Seelenklempnerin unserer Behörde ein: W. als Beispiel, wie schlecht es um die Nerven unserer Leute bestellt sei – ihre Forderungen laufen auf ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für Psycho-Doktoren hinaus. Besagter W. weitet sich allmählich zum Problemfall aus. Solange er seelentechnisch neben den Gleisen läuft, können wir ihm keinen reinen Wein einschenken. Du musst ihn hinhalten, falls er nachfragt. Mach ihm meinetwegen Hoffnungen – unverbindlich, versteht sich. Sonst rastet uns der Bursche womöglich noch aus.
Sich von W. zu verabschieden gibt das Beamtenrecht nicht her. G/S-Leiter Friedrichsen und ich hatten gehofft, die Seelenklempnerin könnte eine Handhabe liefern – leider ein Schlag ins Wasser.
Herzlichst
Wolfgang Dresbach
9.
Karen servierte Bruno einen Pitta- Tee aus Melisse, Zitronengras und Himbeerblättern. Seit sie im Januar an einer Journalistenreise nach Sri Lanka teilgenommen hatte, war sie auf dem Ayurveda-Trip. Sie hatte eine Diagnose parat. Brunos Doshas waren im Ungleichgewicht – was immer das bedeutete.
Bruno probierte von der Kräuterbrühe. »Ist ja lauwarm!«
»Zu heiß ist nicht gut für dich. Pitta steht für Feuer und davon hast du eindeutig zu viel. Willst du etwas Birnensirup zum Süßen?«
»Wenn dein Lehrbuch das erlaubt.«
Bruno süffelte kalten Tee. Karen meinte es gut. Sie referierte über Elemente und
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