Ausgezählt
aufwachsen sehen. Er kannte sie schon als Kleinkind, das er in der Babykarre durch die Straßen geschoben hatte. Als Göre mit Zöpfen, die er vom Kindergarten abgeholt hatte, wenn ihre Mutter beim Arzt war.
Er rechnete und kam darauf, dass Hannah neunzehn Jahre alt war. Bruno ertappte sich dabei, dass er sie anstarrte. Aber wahrscheinlich war ein so hübsches Mädel das gewohnt.
Der Coach trat aus dem Vereinsheim. Sein Gang straffte sich, als er seine Tochter bemerkte. »Vorsicht, Bruno. Nicht dass du deine Heirat bereust!«, rief er im Näherkommen. »Wusstest du, dass Bilder von ihr neulich in so einer Illustrierten waren?«
Sie sagte: »Tu nicht so, Paps. Du bist der Letzte, der sich für Modefotos interessieren würde.«
Der Trainer drückte Hannah einen Schmatz auf die Stirn. Er musste sich dafür auf die Zehen stellen. »Ich lade euch ein. Zur Feier des Tages. Wie wär’s mit dem Griechen?«
Hannah erklärte: »Keine Zeit. Kannst du mir was leihen, Paps?«
Janssen wühlte einen Zwanziger aus dem Geldbeutel. Das Mädchen zog davon.
Der Alte winkte ihr hinterher. »Ist sie nicht wundervoll?«
Im ersten Licht des Morgens kam Bruno von der Nachtschicht zurück. Er entkleidete sich im Wohnzimmer, um Karen nicht zu wecken. Wenn sie zeitig aufstehen musste, leistete er ihr beim Frühstück Gesellschaft. Da sie manchmal jedoch recht lange schlief, wollte er nicht darauf warten.
Als er unter die Bettdecke schlüpfte, murmelte sie: »Wie war’s?«
»Die Schicht war wie immer. Das Training hat Spaß gemacht. Janssen hat mich ordentlich rangenommen. Als Rache dafür, dass ich mich so lange nicht hab blicken lassen. Ich werde einen fürchterlichen Muskelkater bekommen.«
»Eigentlich sieht man dir den Boxer gar nicht an. Du wärst sicher auch gut im Rudern oder Tennis.«
»Kann sein.«
»Wirst du wieder kämpfen wollen?«
»Keine Angst. Versprochen ist versprochen. Das Training genügt. Ich baue Aggressionen ab. Gut für mein Dosha, besser als jede Therapie.«
»Schade, dass du damals das Jurastudium geschmissen hast. Du könntest Anwalt sein und müsstest dich nicht mit all diesen Dumpfbacken in deiner Behörde rumschlagen, die dir obendrein die Schuld an dieser Schießerei geben. Und die blöde Schichtarbeit wäre kein Thema.«
»Nach meiner Versetzung wird das anders, mein Schatz. Ich hab schon bei den Mordermittlern vorgefühlt. Außerdem gibt es noch etwas neben dem Job.«
»Ja, manchmal.« Sie schmiegte sich an ihn und streichelte seine Brust. Er fürchtete, dass sie versuchen würde, mit ihm zu schlafen, aber sie fragte: »Warum sprichst du so selten über deine Gefühle?«
»Ich liebe dich. Immer und immer und immer. Sag ich das nicht oft genug?«
»Erzähl mir, was dich bedrückt.«
»Morgens um sieben?«
»Was ist in Kambodscha vorgefallen?«
Bruno atmete tief durch. Die alte Geschichte – mehr als elf Jahre her. Er hatte die Reise mit Fred unternommen, seinem besten Kumpel, der damals mit Karen liiert gewesen war. Über Kambodscha zu reden würde bedeuten, Fred schlecht zu machen – eine billige Art, sich aus der Verantwortung zu stehlen, wie Bruno fand. Das verpfuschte Angkor-Abenteuer hatte sein Leben geprägt, nicht weniger als der Mord an Thomas Eberhard vor zwölf Wochen. Beide Male hatte er Mitschuld auf sich geladen – es nützte nichts, sich darüber den Kopf zu zerbrechen.
»Ich bin wirklich müde«, erklärte Bruno und löste sich von Karen.
Teil zwei
Verrat
11.
Kurz vor siebzehn Uhr verdüsterte sich der Aprilhimmel, das Gewitter legte los und ein Wolkenbruch spülte alle Hoffnungen auf einen lauen Abend fort. Vor der Graf-Adolf-Straße stauten sich die Autos, die in Richtung Bilk und weiter nach Süden unterwegs waren. Der Grund war ein unbeleuchteter Rheinbahnwagen, der mitten auf der Kreuzung seine Fahrgäste entließ – Stromausfall. Auf drei Spuren ging es nur schleichend voran, Fußgänger nutzten die Lücken und drängelten sich durch.
Brunos neuer Partner ließ die Hupe des Omega dröhnen. »Nichts als Idioten! Von wegen, wir brauchen kein Blaulicht!«
»Reg dich ab«, antwortete Bruno.
Kästner war zweiunddreißig wie er, aber einfacher Kommissar – Bruno war nun Chef im Zweierteam und musste nicht mehr am Steuer sitzen. Die zweite Woche mit dem Neuen: Der cholerische Glatzkopf ging Bruno auf die Nerven.
»Warum sprichst du nie über diese Schießerei im November?«, fragte Kästner.
»Ich denk, du hast Zeitung gelesen.«
»Sicher.«
»Dann
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