Ausgezählt
weißt du alles.«
Bruno sagte sich, dass es ungerecht sei, den neuen Partner mit Thomas Eberhard zu vergleichen. Brunos Tage bei der Kriminalwache waren ohnehin gezählt – hoffentlich. Sein Versetzungsantrag wurde noch immer zwischen der Verwaltung und dem Führungsstab des Kripochefs hin- und hergeschoben.
Kästner grummelte. »Ich bieg an der nächsten Kreuzung ab. Zeit für den Sundowner.«
So nannten sie die Kaffeepause, die sie in der Halbzeit jeder Schicht einlegten. Sie steuerten dafür eine Dönerbude in Oberbilk an. Mit der koffeinhaltigen Brühe verstieß Bruno insgeheim gegen Karens Richtlinien – sie war nach wie vor auf dem Ayurveda-Trip.
Kästner hatte sich in die Bedienung des Imbissladens verguckt. Er bildete sich ein, dass die Frau nur für ihn den Ausschnitt um ein paar Knöpfe zu weit geöffnet ließ. Aber er sprach sie nie an, aus Schiss vor seiner Ehefrau oder vor dem Bruder der Türkin, einem bärtigen Kerl mit eng stehenden Augen. Kästner nannte ihn Osama.
Auf der Gegenspur nahm ein uniformierter Kollege einen Unfall auf. Überall in der Stadt schien es zu krachen, im Funk herrschte Chaos.
Es dauerte eine Weile, bis Bruno begriff, dass einer der Rufe ihm und seinem Partner galt.
Er griff nach der Handpuste und drückte die Sprechtaste. »Düssel 31. Was liegt an?«
»Sag dem Onkel, dass wir im Stau stecken«, knurrte Kästner, das Krächzen aus dem Lautsprecher übertönend. »Es gibt noch andere Teams.«
Bruno drehte den Regler auf Anschlag und bat den Kollegen im Äther, die Meldung zu wiederholen. Es ging um eine Schlägerei in einem Fitness-Studio. Sie waren keinen halben Kilometer entfernt.
Kästner fluchte: »Sind wir Schupos oder was?«
»Denk an deine Beförderung«, erwiderte Bruno.
Vor seiner Versetzung hatte sich der Kahle eine gute Beurteilung schreiben lassen und geglaubt, den zweiten Stern auf der Schulter damit sicher zu haben. Inzwischen sah Kästner das anders: »Scheiß drauf, ist doch sowieso gelaufen. Eine freie Oberkommissarstelle im gesamten KK 44 und in jeder Dienstgruppe ein bis zwei Hühner, die darauf lauern. Wie nennt ihr den Gruppenleiter Geißler?«
»Zitronenfalter.«
»Genau. Der hat selbst gesagt, dass er Frauen bevorzugt. Ohne Geschlechtsumwandlung hast du heute keine Chance mehr.«
Der Verkehr kam erneut zum Stehen. »Hat keinen Zweck«, stellte Bruno fest. »Wir laufen den Rest.«
»Im Ernst?«
»Angst um die Frisur?«
Der Kahle ignorierte den Scherz. Seine Glatze war angeblich Folge einer seltenen Krankheit – er behauptete, dass ihm nicht einmal am Sack Haare wuchsen. Als Einziger in der Festung durfte Brunos Partner gegen den Frisurenerlass verstoßen, mit dem das Innenministerium ein Zeichen gegen Rechtsextremismus setzen wollte. Kästner hatte es sich schriftlich geben lassen.
Er ließ den Motor aufheulen und den Omega auf den Gehsteig rumpeln. Bruno stieg aus. Regen klatschte ihm ins Gesicht und lief in den Kragen. Er überhörte das Geschimpfe des Kahlen und trottete auf den Parkplatz zu.
Erst dort fiel ihm ein, wo er war.
Das Pflaster zwischen Bahndamm und den niedrigen Gewerbehallen war glitschig und spiegelte die Lichter wie im Herbst. An den Seiten war der Platz mit Autos zugestellt. Vor dem Restaurant warteten leere Bänke und Tische, aufeinander gestapelt und zusammengerückt, auf wärmeres Wetter. Gegenüber wuchtete ein Rentner im Friesennerz Bierkisten in seinen Kombi. Ein rostiger Polo lauerte darauf, dass der Alte seinen Stellplatz verließ. Die Fahrerin trug Sportklamotten.
Am 26. November hatte es hier noch keine Muckibude gegeben.
Kästner gehörte damals noch dem Einsatztrupp der Polizeiinspektion Nord an – für Brunos neuen Partner gab es nur die Erinnerung an vier Tage halbmast und den größten Trauerzug in der Geschichte Düsseldorfs.
Brunos Blick suchte die Stelle. Er fand Bilder der Erinnerung: das Zucken Ebis nach dem Schuss. Die Scheinwerfer des BMW. Helmers Ballerei. Die schreckliche Schusswunde auf Ebis Stirn. Seine eigenen Schmerzen und die plötzliche Kälte. Bruno fasste sich unwillkürlich ans Bein.
Kästner erreichte ihn. »Ey, hier geht’s lang! Worauf wartest du?«
Unter dem Vordach des Fitnesscenters drängte sich eine Traube von Leuten, die auf ein Abklingen der Sintflut warteten. Drinnen warb ein Pappaufsteller in Form eines thailändischen Tempelwächters für eine Buddha-Bar. Fernöstliches Klimbim war angesagt, sogar beim Verkauf von Isodrinks.
Das Prasseln auf dem Flachdach
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