Ausgezählt
nichts verrätst?«
»Ach, du Scheiße!«
»Sie will sich mit mir treffen.«
»Die Türkin? Du hast sie angebaggert?«
Kästner griff hinter den Fahrersitz und brachte eine Flasche Sekt zum Vorschein. »Wir haben ein Date vereinbart. Wenn unsere Spätschicht aus ist, hat sie Feierabend. Eine Bitte, Bruno. Falls meine Frau dich fragen sollte …«
»Überstunden, Festnahmen, jede Menge Schreibkram.«
.»Danke, Champion.«
»Hoffentlich fragt sie nicht.«
Brunos Handy ließ Töne hören. Onkel Jürgen war dran. Ein Einbruch in der Altstadt. Kästner konnte nicht wissen, was der Kollege durchgab, schüttelte aber schon mal den Kopf.
»Hast du kein anderes Team?«, fragte Bruno ins Telefon.
»Nein«, antwortete der Onkel. »Die Leitstelle behauptet, das Einbruchsopfer wartet seit über einer Stunde und droht mit der Presse.«
»Blitz kämpft für Sie. Da werden Sie geholfen.«
»Wachtendonk heißt er. Lambertusstraße 14.«
»Wir sind in zehn Minuten da.« Bruno steckte das Handy weg.
Kästner wendete mitten auf einer Kreuzung.
Die Lambertusstraße führte vom Amtsgericht auf Sankt Lambertus zu, quer durch die nördliche Altstadt, in der einige Häuser sowohl den Zweiten Weltkrieg als auch den Bauboom der nachfolgenden Jahre überstanden hatten. Kästner bretterte über das Pflaster der Fußgängerzone. Bruno hielt Ausschau nach den Hausnummern.
Die 14 war das prächtigste Haus der Straße. Drei Stockwerke mit allerlei Simsen, Erkern und Balkonen, Stuckfiguren und Blumenschmuck. Der Geschädigte erwartete die Kripo vor der Haustür.
Wachtendonk war ein kleiner, schlanker Herr in den Sechzigern mit vollem weißem Haar und gestutztem Vollbart. Er zeigte erregt auf seine Uhr – das klobige, goldene Ding rasselte um das schmale Handgelenk. »Neunzig Minuten! Unglaublich!«
Bruno versuchte ihm klar zu machen, dass Wohnungseinbrüche nicht zu den Delikten zählten, bei denen es auf die sofortige Bearbeitung ankam. Der Täter war längst weg und den Spuren war es egal, ob man sie nach zwei Minuten oder zwei Stunden sicherte. Wie niedrig die Aufklärungsquote war, behielt Bruno für sich.
Wachtendonk hörte nicht auf, den Großkotz herauszukehren. »Ihre uniformierten Kollegen meinten, ich soll nichts anrühren. Können Sie sich vorstellen, was es für einen Geschäftsmann bedeutet, anderthalb Stunden warten zu müssen?«
Sie folgten dem Weißhaarigen ins Haus. Keine Treppe im Flur, die nach oben führte. Nur eine zweiflügelige Wohnungstür, die deutliche Hebelmarken aufwies – schmale Werkzeugspuren, die vielleicht von einem Schraubendreher stammten.
Bruno ließ Kästner die Ausrüstung aus dem Kofferraum holen und inspizierte die Innenseite des Eingangs. Zwei stählerne Querriegel, verankert im Türrahmen statt im Mauerwerk. Sie hatten nicht standgehalten. Das Holz war gesplittert, die Schrauben herausgefetzt. Kästner packte den Rußpinsel aus. Die Spurensuche war Routine, die meist vergeblich blieb – kaum ein Wohnungsknacker ging ohne Handschuhe auf Tour.
Bruno fragte Wachtendonk: »Können Sie mir beschreiben, was der Täter mitgenommen hat?«
»Mitgenommen? Dafür war es ihm offenbar zu groß. Aber er hat es umgehauen. So ziemlich der abscheulichste Fall von Vandalismus, den man sich vorstellen kann!«
Bruno folgte dem Alten in eine Halle. Er sah, warum es im Hausflur keine Treppe gab.
Das gesamte Gebäude beherbergte nur eine Wohnung. Die Stufen zu den oberen Etagen führten an der Rückwand der Halle empor. Der Raum war eines Palastes würdig und erstreckte sich bis unter das Dach, in dessen Schräge Fenster eingelassen waren.
Das späte Nachmittagslicht fiel auf eine Statue aus Stein, rund vier Meter groß, die vor den Stufen bäuchlings auf einem orientalischen Teppich lag.
Ihr Anblick ließ Brunos Atem stocken. Kambodscha.
»Sie können sich nicht ausmalen, welchen Wert diese Skulptur darstellt«, zeterte der Weißhaarige. »Sie war das besterhaltene Stück einer uralten Kultur. Ich weiß nicht, ob Sie je von Angkor gehört haben.«
Fünf der acht Arme waren beim Sturz gebrochen, im Rücken der Figur klaffte ein riesiges Loch. Der Kopf saß noch fest auf den Schultern, die Gottheit lächelte in den Perserteppich, die Augen fast geschlossen. In dieser Stellung wirkte sie eher benommen als träumend.
Der Vishnu von Ta Prohm Kel.
Für einen Moment hatte Bruno die Vision zweier Jugendlicher, die mit einem Loch im Schädel auf dem Boden dieser Halle lagen. Er dachte an die zweite
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