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Ausgezählt

Ausgezählt

Titel: Ausgezählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Eckert
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Reise, die er gemeinsam mit Fred unternommen hatte. An den Tag, als er seinen Kumpel zum letzten Mal gesehen hatte.
    Bruno versuchte, sich auf Spuren zu konzentrieren. Der Teppich war verdreckt. Sand, Brocken von Zement, hinter der Statue ein ganzer Haufen davon. Heller als der grünliche Sandstein, aus dem die Figur geschlagen war.
    Der Wohnungsinhaber schnäuzte sich. Tränen standen in seinen Augen. »Diese Figur stellt Vishnu dar, den Schöpfer der Erde und des Himmels in der hinduistischen Mythologie. Die gesamte Skulptur wurde aus einem Block geschlagen. Sie ist … sie war von unermesslichem Wert!«
    Bruno verriet ihm nicht, dass er alles über die Statue wusste. Er fragte: »Wurde sonst etwas gestohlen oder beschädigt? Gibt es weitere Spuren? Anzeichen, dass der Täter die Wohnung durchsucht hat?«
    »Nein. Aber sehen Sie sich nur diesen Schaden an!«
    »Was ist denn hier passiert?« Eine Frau in den Vierzigern hatte die Halle betreten. Sie trug hellblaue, eng sitzende Trainingsklamotten, eine Lacklederjacke lässig über die Schultern geworfen, in der Hand eine Sporttasche.
    Kästner war ihr gefolgt. Er glotzte der Frau auf den Hintern.
    »Vandalen, mein Schatz!«, antwortete Wachtendonk. Seine Wangen waren tiefrot angelaufen. Die Sache ging ihm wirklich nahe.
    Bruno betastete das geräumige Loch im Rücken. »Der Täter muss längere Zeit gemeißelt haben. Hat das niemand gehört?«
    Der Alte zögerte, dann sagte er: »Das war schon vorher da. Durch die Beschädigung am Rücken ist mein Vishnu nicht nur ein archäologisches Ausnahmestück, sondern auch ein Dokument der Zeitgeschichte. Die Roten Khmer verachteten die Religion und benutzten in den siebziger Jahren die Statuen von Angkor für Schießübungen. Daher das Loch. Als ich die Skulptur erwarb, war es mit Zement gefüllt und mit Farbe übertüncht. Ich glaube nicht, dass es Mühe gemacht hat, die Füllung rauszukratzen. Aber die Arme! Die werden nie wieder festwachsen!«
    Seine Frau nahm ihn in den Arm. »Das kann man sicher restaurieren«, tröstete sie.
    Wachtendonk weinte und hielt sich an ihr fest.
    Am liebsten hätte Bruno ihn gepackt und geschüttelt. Ihm ins Gesicht geschrien, welche Lappalie eine zerbrochene Götterfigur war im Vergleich zu den Menschenleben, die ihr Schmuggel gefordert hatte.
    Sein Partner hob den Blick vom Hintern der Frau. »Keine Fingerprints«, bemerkte er. »Nur ein Ohr. Wahrscheinlich hat der Täter gelauscht, ob jemand da ist. Aber damit können wir nichts anfangen.«
    »Warum nicht?«, wollte der Alte wissen.
    Bruno erklärte: »Weil es keine Kartei mit Ohrabdrücken gibt.«
    Er griff in den bröckeligen Schutt und ließ die herausgekratzte Füllung durch die Finger rieseln. Dokument der Zeitgeschichte. Schießübungen. Die Roten Khmer hatten auf Menschen geschossen, nicht auf Götzenbilder.
    Kästner knipste ein paar Polaroids und erklärte Wachtendonk, dass sich der zuständige Sachbearbeiter in den nächsten Tagen bei ihm melden werde.
    »Was sind das für Leute, die sich solche Monster in die Bude stellen?«, fragte der Kahle, als er den Omega startete.
    Bruno hörte nicht hin.
    Er vernahm das Knattern der Rotorblätter und das Dröhnen der Turbine wie damals.

14.
    Als Bruno erwachte, fiel ihm auf, dass sie sehr tief flogen. Sok San hatte die Seitentüren geöffnet und der Wind zerrte an Brunos Haaren, die seit Tagen kein Shampoo mehr gesehen hatten. Er saß auf dem vibrierenden Boden, Sitze gab es nicht. Der Lärm schluckte fast jedes andere Geräusch und ließ die Kabine wie einen Ort wirken, der vom Leben abgeschottet war.
    Die Regenfront über den Bergen hob sich vom heller werdenden Morgenhimmel ab. Der Lärm der Maschine hallte in Brunos Bauch als dumpfes Rumoren wider – Nachwehen eines Brechdurchfalls, der ihn in Bangkok zwei Tage lang in der Kakerlakenbude des Swan -Hotels festgehalten hatte, die Kloschüssel immer in Reichweite. Er fühlte sich schlapp, doch keinen Moment lang hatte er in Betracht gezogen, den Abstecher nach Kambodscha nicht zu unternehmen. Silberkuhl, der Einkäufer des alten Klee, war dazu nicht in der Lage. Sie waren eingesprungen. Sie wollten Angkor sehen.
    Am Boden konnte Bruno Einzelheiten ausmachen: Dickicht und Flüsse, Reisfelder, vereinzelte Hütten. Er schätzte, dass eine Stunde vergangen war, seit sie bei völliger Dunkelheit vom Camp an der Grenze gestartet waren. Siem Reap würde Bruno nicht zu sehen bekommen, der Hubschrauber musste die Stadt umfliegen. Ihr Flughafen

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