Ausgezählt
junior bewaffnet.«
Der Rechtsmediziner verließ das Haus. Akkulampen brannten, ein Blitzlichtgewitter ging auf den alten Professor nieder. Fotografen und Kameraleute begleiteten ihn auf seinem Weg zum Auto, zankend und sich gegenseitig behindernd. Reporter riefen ihm Fragen zu, die er unbeantwortet ließ.
Bruno und Thilo Becker brachen auf.
20.
Es ging um irgendeine Skulptur.
Zwölf Jahre her – im Rückblick eine Schnapsidee. Fred hatte ihm das Boxen ausgeredet. Sein Kumpel hatte sich über ihn lustig gemacht, weil er keine Freundin hatte. Wegen Fred hatte er diese beschissene Reise unternommen.
Angkor. Bruno albträumte noch heute davon. Mit den Roten Khmer unterwegs im Schlitzaugenbürgerkriegsland. Völlig gedankenlos.
Als Bruno den Koloss in voller Größe sah, war er ganz verzaubert. Mit zwanzig war er anfällig gewesen für Mythen und Träume: Bruno Wegmann – Entdecker antiker Schätze.
»Komm schon, wir haben keine Zeit!«, schrie Fred ihm aus dem Hubschrauber zu.
Bruno hangelte sich die letzten Sprossen hoch. Er setzte den Fuß in die Luke und schwang sich hinein. Die tausend Jahre alte Statue war geborgen. Der Vishnu von Ta Prohm Kel hing unter der Bell. Bruno würde ihn nach Deutschland bringen.
Er streckte die Hand hinaus und winkte den Kambodschanerjungen entgegen. Er wartete, um ihnen beim Einstieg zu helfen.
Fäuste packten ihn. Sok San – der Kerl im Tarnfarbenanzug stieß Bruno gegen die Kabinenwand. Sein Kopf krachte hart gegen Metall.
Bruno rappelte sich hoch. Er suchte Freds Blick. Sein Kumpel wich aus.
Was ging hier vor?
Sok San hielt sich am Rand der Luke fest. Von draußen drangen Schreie in die Kabine – trotz des Dröhnens der elfhundert PS starken Turbine erkannte Bruno, dass es die beiden Jugendlichen waren. Sie flehten und klagten.
Bruno näherte sich wieder der Luke. Fred wollte ihn zurückhalten. Bruno riss sich los. Er herrschte den Offizier an: »WHAT ARE YOU DOING?«
Der Kambodschaner zeterte in abgehacktem Schlitzaugenkauderwelsch. Bruno nahm die Fäuste hoch. Er fühlte sich überlegen.
Sok San streckte ihm eine Pistole entgegen. Bruno blickte in die Mündung und erstarrte.
Unter der Bell hingen die Brüder in den Stricken, ihre Füße baumelten über der Ruine.
Bruno hielt den Atem an. Die Hilferufe galten ihm!
Sok San zielte plötzlich auf einen der beiden Jungen und schoss. Der Sechzehnjährige stürzte ab und brach auf der Plattform zusammen. Blut rann aus seiner Stirn.
Der Leutnant zielte wieder. Der jüngere Bruder schrie wie am Spieß.
Bruno schlug eine wuchtige Gerade. Der Schuss löste sich und ging ins Leere. Der Offizier fing sich an der Kabinenwand, bellte Befehle und fuchtelte mit der Waffe.
Gestrüpp knickte am Rand der Lichtung. Ein offener Jeep brach hervor. Drei Soldaten der Regierungsarmee, die auf die Bell starrten und auf den achtarmigen Koloss, der darunter baumelte. Auf den zweiten Jungen, der sich Sprosse für Sprosse nach oben zog.
Sok San löste eine Handgranate vom Gürtel, zog den Sicherungsstift und schleuderte die Granate in Richtung des Geländewagens. Es blitzte. Der Jeep machte einen Satz und ging in Flammen auf. Ein Soldat hing reglos über der Windschutzscheibe, die anderen rannten in den Wald.
Der Vierzehnjährige hangelte sich immer weiter nach oben. Tränenüberströmt erreichte er die Luke, sein Gesicht zur Grimasse verzerrt.
Quälend langsam stieg die Bell, das steinerne Monstrum unter ihrem Bauch.
Bruno erkannte, dass es ihre Schuld war. Er und Fred hatten darauf bestanden, die Statue unversehrt zu bergen. Allein der Sockel war schwerer als beide Brüder zusammen.
Ein zweiter Geländewagen rollte auf die Lichtung. Diesmal waren die Soldaten gewarnt. Schlitzaugen in Khaki sprangen ab und suchten Deckung.
Sok San zielte auf den Vierzehnjährigen, der sich in die Kabine zog. Der Offizier drückte ab. Der Junge fiel.
Der Hubschrauber gewann endlich an Höhe. Die Schüsse der Regierungssoldaten verfehlten die Bell. Die Pyramide wurde kleiner. Die Lichtung versank im Grün des Dschungels, die Rauchfahne des brennenden Jeeps entfernte sich rasch.
Sok San steckte die Pistole in den Gürtel zurück. »Vishnu heavy«, erklärte er und kickte leere Patronenhülsen aus der Luke.
Bruno ging auf ihn los. Fred stellte sich dazwischen. Der Helikopter schaukelte. Bruno musste sich festhalten. Die Bell flog eine Kurve und knatterte nach Norden.
Ein Dorf kam in Sicht. Hütten und Gärten. Hunde auf einer ungeteerten
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