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Ausländer

Ausländer

Titel: Ausländer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baumhaus
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hohen Tor aus Ziegelwerk und Stuck mit einer imposanten Tür aus geschnitztem Holz und Glas.
    Die Wohnung befand sich im zweiten Obergeschoss. Piotr wurde durch den holzgetäfelten Flur in ein geräumiges Wohnzimmer geführt, durch dessen große Fenster Tageslicht hereinströmte. Der Raum war blitzsauber, die hölzernen Tische glänzten mit den Kommoden um die Wette.
    Drei Mädchen warteten dort, jedes hatte eine andere der Sitzgelegenheiten gewählt, die den Mittelpunkt des Raumes bildeten – ein Sofa, ein Lehnstuhl und eine Chaiselongue. Alle drei trugen kunstvolle Zopffrisuren, wie sie in Deutschland gerade Mode waren. Piotr vermutete, dass sie ihren Sonntagsstaat angelegt hatten. Das gab ihm das Gefühl, willkommen zu sein. Sie hatten sich extra für ihn zurechtgemacht!
    Kaltenbach stand hinter Piotr, eine Hand auf jeder seiner Schultern. »Das ist Peter«, erklärte er den Mädchen mit übertrieben deutlicher Aussprache. »Er wird jetzt bei uns wohnen. Ich möchte, dass ihr ihn wie einen Bruder behandelt.«
    Die Mädchen standen auf, um ihn zu begrüßen.
    Elsbeth, die Älteste, sah ihrer Mutter am ähnlichsten – eckige Züge und ein zarter Körperbau. »Er ist groß für sein Alter«, sagte sie, während sie ihm die Hand schüttelte. Es klang eher wie eine gleichmütige Feststellung, nicht wie ein Kompliment. Nur einen Moment lang begegneten sich ihre Blicke. In ihrer Gegenwart fühlte er sich unbehaglich.
    Traudl war dreizehn wie er selbst und gut fünfzehn Zentimeter kleiner. Sie begrüßte ihn mit einem strahlenden Lächeln und einem fröhlichen »Heil Hitler! Willkommen in Berlin!«.
    Die achtjährige Charlotte wusste offenbar nicht, was sie von der ganzen Angelegenheit halten sollte. Sie lächelte schüchtern,sagte aber kein Wort. Die beiden jüngeren Mädchen kamen nach ihrem Vater – dunkel und stämmig, hübsche runde Gesichter mit glatter, heller Haut.
    »Die U-Bahn-Station Wittenbergplatz ist hier gleich um die Ecke«, sagte Frau Kaltenbach. »In zehn Minuten ist man im Stadtzentrum.«
    »Und in fünf Minuten am Aquarium«, warf Traudl ein. »Und im Zoologischen Garten!«
    »Komm, ich zeig dir mein Puppenhaus«, sagte Charlotte, inzwischen ein bisschen mutiger, und nahm Peter bei der Hand.
    Sie führte ihn in ihr Zimmer. Das Puppenhaus stand auf einem niedrigen Tisch, eine richtige Welt in Miniaturausgabe: Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche, Bad. Alle Räume waren kunstvoll möbliert und reich dekoriert.
    Peter heuchelte Interesse. »Und wer wohnt da?«, fragte er freundlich.
    »Niemand«, erklärte Charlotte. »Mami sagt, es muss immer schön sauber und aufgeräumt sein, falls der Führer mal zu Besuch kommt.«
    Das Haus war leer. Keine Puppen, keine kleinen Spielzeugtiere. Im Wohnzimmer gab es eine leuchtend orangefarbene Tapete mit Blumenmuster, einen richtigen Teppich und eine zierliche Anrichte aus Mahagoni. Auf dem Esstisch lag eine Spitzentischdecke; darauf stand eine winzige Blumenvase. Von einem Ehrenplatz über dem Kamin aus starrte einen über Vasen und Leuchter hinweg ein Miniaturporträt von Adolf Hitler finster an. Neben den Gardinen waren ein paar kleine Hakenkreuzfahnen an die Wand geheftet.
    In der winzigen Puppenhausküche gab es nicht nur erlesene Töpfe und Pfannen und ein vollständiges Service, sondernauch ein weiteres Führerporträt. Auf diesem war er mit seinem Freund Mussolini abgebildet, Deutschlands italienischem Verbündeten. Was Peters Aufmerksamkeit jedoch mehr als alles andere auf sich zog, war die Tapete in der Küche. Das Muster bestand aus Mädchen in Militäruniform, von denen einige in Formation marschierten, andere mit Nazifahnen in den Händen tanzten, wieder andere um ein Feuer lagerten und kochten.
    Charlotte merkte, dass er die Tapete betrachtete. »Mami sagt, wenn ich zehn bin, kann ich zu den Jungmädeln und mit ihnen verreisen und sogar in einem Zelt schlafen wie all die großen Mädchen!«
    Herr Kaltenbach erschien an der Tür. »Sehr schön, Charlotte, aber wir haben Peter noch nicht mal sein eigenes Zimmer gezeigt.«
    Die Zimmer in der Wohnung lagen zu beiden Seiten des langen Flurs. Das von Peter befand sich ganz am Ende und war kleiner als die anderen. »Normalerweise bringen wir hier Gäste unter«, erklärte Frau Kaltenbach seufzend. »Aber jetzt werden wir uns anders organisieren müssen.«
    »Sie können im Wohnzimmer schlafen, Schatz«, wischte Herr Kaltenbach ihre Beschwerde beiseite.
    Peters Zimmer war mit einem an der Wand stehenden Bett,

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