Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ausländer

Ausländer

Titel: Ausländer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baumhaus
Vom Netzwerk:
zuwarfen. Sie war hochgewachsen – größer als die meisten Jungen ihres Alters – und schlank. Gern wäre sie etwas kleiner gewesen, denn sie fiel zu sehr auf. Und ihr Gesicht war zu eckig, davon war sie überzeugt, zu kantig und spitz. Sie wünschte, ihr Gesicht wäre ein wenig runder, wie das von Greta Garbo oder jener deutschen Schauspielerin, die nach Amerika gegangen war und von der es hieß, sie sei eine judenfreundliche Verräterin – Marlene Dietrich. Anna hätte auch gern eine vollere Figur gehabt, so wie Bette Davis. Aber zumindest hatte sie einen schönen Teint.
    Die Uniform des Bundes Deutscher Mädel stand ihr gut, die kurze beige Kletterjacke umschloss eng ihre schmale Taille, der dunkelblaue Wollrock bedeckte die Knie, wie es sich gehörte. Sie rückte ihr Halstuch zurecht und platzierte den Lederknoten so, dass er exakt in den V-Ausschnitt ihrer Jacke passte, wie das BDM -Handbuch es vorschrieb. Dann zog sie den Kragenihrer weißen Bluse heraus, strich ihn beidseits glatt und richtete sich kerzengerade auf, sodass ihr schwarzes Haar nicht auf dem Kragen auflag.
    Ihre Großmutter beschwerte sich immerzu über ihren Haarschnitt. »Ein Bubikopf, das ist zu modern. Du siehst aus wie eines dieser verkommenen Weibsbilder. Warum wie ein Flittchen herumlaufen, wo du dein Haar doch lang wachsen lassen und dir schöne Zöpfe machen könntest? Das würde viel germanischer aussehen.«
    Anna hatte es satt, sich wegen ihres Haars dumme Bemerkungen anzuhören. An jenem Morgen hatte Gretchen, diese griesgrämige BDM -Göre, die eine selbstgeschneiderte Uniform trug und immer inmitten der Mädelschar marschierte, damit niemand es bemerkte, die Stirn gehabt, zu ihr zu sagen: »Du bist so dunkelhaarig wie eine Jüdin. Hast wohl Juden in der Familie, stimmt’s?« Einige der anderen Mädchen hatten gekichert, und Anna musste auf billige Beleidigungen zurückgreifen.
    »Und du bist so verlottert wie ein altes Waschweib. Kannst dir wohl keine anständige Uniform leisten?«
    Dann war sie, obwohl die Mädchen höhnisch gegrinst hatten, wie die Verspottete rot angelaufen. Ihre eigenen Worte hatten sie selbst verletzt. Anna hasste sich dafür, so etwas zu sagen.
    Später, gegen Unterrichtsende, hatte sie ein heikles Gespräch mit Elke gehabt, einem Mädchen, das bei Massenkundgebungen immer besonders laut schrie, wenn Hitler in seinem Mercedes-Cabrio vorbeifuhr, und das ständig davon redete, einen SS -Offizier heiraten zu wollen. Nach dem Turnunterricht hatte sie sich im Umkleideraum an Anna herangeschlichen und geflüstert: »Warum trägt der Führer in der Badewanne immer eine Badehose?«
    Anna hatte sie verständnislos angesehen.
    »Weil er auf keinen Beschäftigungslosen herabblicken möchte.«
    Anna lächelte höflich und versuchte eine missbilligende Miene aufzusetzen. »Also wirklich, Elke. Der Führer hat für uns große Opfer auf sich genommen. Und dass er sich keine Frau genommen hat, damit er sich ganz und gar dem deutschen Volk widmen kann, verdient unseren Respekt und nicht unseren Spott.«
    Anna kam sich scheinheilig und selbstgefällig vor. Elke zuckte mit den Achseln. Vielleicht lief sie jetzt zum Schulrektor, um zu berichten, dass Anna Reiter mit höflicher Missbilligung reagiert habe. Oder vielleicht würde Elke eine schlaflose Nacht verbringen aus Angst, Anna könnte sie melden. Für Respektlosigkeiten dieser Art hatten andere Schüler an ihrer Schule schon zermürbende vier Wochen harter Arbeit in Erziehungslagern für Jugendliche zugebracht.
    Es war traurig und nervenaufreibend, niemandem trauen zu können. Anna hatte immer gewusst, dass sie und ihre Familie anders waren. Herauszufinden, wer sonst noch so war wie sie, war ein gefährliches, trügerisches Spiel. Wie ihnen zu Ohren gekommen war, setzte die Gestapo Lockspitzel ein, um Regimegegner zu entlarven. Es ging sogar das Gerücht, bestimmte Leute würden Anti-Hitler-Witze erzählen, nur um einen anzuzeigen, wenn man darüber lachte, manchmal sogar schon dafür, dass man selbst den Verbreiter des Witzes nicht meldete. Gerüchte wie dieses machten ständig die Runde, und es war unmöglich, ihren Wahrheitsgehalt festzustellen.
    Anna war ihrer Mutter Ula, die bei einer Zeitschrift als Journalistin arbeitete, wie aus dem Gesicht geschnitten. Ihr Vater, Oberst Otto Reiter, diente im Generalstab des Ersatzheers inder Bendlerstraße. Manchmal dachte Anna, das Leben wäre viel leichter, wenn ihre Familie genauso wäre wie alle anderen. Willenlose

Weitere Kostenlose Bücher