Ausländer
Daher müsst ihr eure Körper und euren Geist vor Kontakten mit Minderwertigen bewahren.«
»Ich stehe auf Kontakte mit Minderwertigen«, flüsterte Segur, »vor allem, wenn es sich dabei um unser polnisches Dienstmädchen handelt!«
Peter versuchte eine ernste Miene zu bewahren. Er wünschte, Segur würde mit seinen Albernheiten aufhören und den Mund halten. Dann versuchte er, sich wieder auf Axmanns Rede zu konzentrieren. Segur hatte Mühe, nicht zu kichern.
»Segur«, zischte der Scharführer, »reiß dich zusammen!«
»Es ist die Pflicht eurer Lehrer, aus euch die Gebieter und Herrscher von morgen zu machen! Im Gegenzug erwarten wir von euch treue Hingabe an die euch auferlegte Disziplin sowie Gehorsam gegenüber allen Befehlen, wie auch immer sie lauten mögen! HEIL HITLER !«
Ein Beifallssturm setzte ein. Wer hätte sich von dieser Aussicht auf Wohlstand und Macht nicht verführen lassen?
Nun reckten sämtliche Jungen, wie sie es gelernt hatten, den rechten Arm und skandierten » SIEG HEIL! SIEG HEIL! SIEG HEIL! «, wie ein riesiger Chor, immer wieder dreimal hintereinander, bis Axmann ihnen ein Zeichen gab aufzuhören.
Es folgte der wichtigste Teil der Zeremonie, das Treuegelöbnis.
Aus den Lautsprechern donnerte eine Stimme:
» ICH GELOBE, DEM FÜHRER ADOLF HITLER TREU UND SELBSTLOS IN DER HITLERJUGEND ZU DIENEN .«
Die Jungen sprachen die Formel folgsam nach. Sie hatten diesen Augenblick eingeübt, jeder Einzelne, für sich allein und in ihren HJ -Heimen und Versammlungen. Peter spürte, wie ein ungeheurer Stolz seine Brust schwellte.
» ICH GELOBE, MICH ALLEZEIT EINZUSETZEN FÜR DIE EINIGKEIT UND KAMERADSCHAFT DER DEUTSCHEN JUGEND .
ICH GELOBE GEHORSAM DEM REICHSJUGENDFÜHRER UND ALLEN FÜHRERN DER HITLERJUGEND .
ICH GELOBE BEI UNSERER HEILIGEN FAHNE, DASS ICH IMMER VERSUCHEN WILL, IHRER WÜRDIG ZU SEIN, SO WAHR MIR GOTT HELFE !«
Jetzt gehörte er wahrhaftig zu ihnen. Er gehörte zu dieser Schar. Peter spürte eine Gänsehaut im Nacken. So etwas hatte er in der Kirche nie empfunden.
Als die Zeremonie beendet war, zerstreuten sich die Jungen. Hertz ergriff Peter beim Arm. »Wo ist Segur?«, fragte er wütend. Peter schüttelte den Kopf. Sein Freund war verschwunden,wahrscheinlich Richtung Tribüne, um seine Eltern zu begrüßen. »Was um alles in der Welt hattet ihr während der Rede des Reichsjugendführers zu tuscheln?«
Peter war über Segur verärgert, aber er würde seinen Freund nicht verraten. Also blickte er dem Scharführer in die Augen und sagte mit aller Ernsthaftigkeit: »Es tut mir leid, Hertz. Ich glaube, Segur war in diesem großen Augenblick in seinem Leben von seinen Gefühlen überwältigt.«
Hertz hatte ein Stück entfernt von den beiden gestanden. Er würde Segur nichts Schlimmes nachweisen können.
»Na gut«, sagte Hertz. »Aber du kannst deinem Freund ausrichten, dass ich ihn im Auge behalte. Und dich genauso. Und sollte ich auch nur den geringsten Grund haben, an eurer nationalsozialistischen Gesinnung zu zweifeln, wird es mir ein Vergnügen sein, euch der Gestapo zu melden.«
Peter setzte an, seine Unschuld zu beteuern, doch da war Hertz bereits in der Menge verschwunden. Peter empfand es als kränkend, solche Verdächtigungen hinnehmen zu müssen, aber er wollte sich diesen Moment nicht verderben lassen. Er war stolz, in die Hitlerjugend aufgenommen zu sein. Mit der Uniform fühlte er sich wie ein echter Soldat. Richtig erwachsen. Jetzt gehörte er dazu, er hatte sogar den Ehrendolch erhalten. Er spürte das Gewicht an seinem Gürtel. Der schwarze geriffelte Griff mit dem Hakenkreuz darauf passte perfekt zu der schimmernden Schneide aus Stahl. Auf dem Heft war in gotischen Lettern Treue bis in den Tod und auf der Schneide Blut und Ehre! eingraviert. Und die Schneide war scharf.
Auf dem Weg zu den Kaltenbachs, die auf der Tribüne warteten, hoffte er, diesem Ideal gerecht werden zu können. Die Kaltenbachs begrüßten ihn mit herzlichen Umarmungen, selbstFrau Kaltenbach. »Peter, du siehst von Kopf bis Fuß wie ein politischer Soldat aus«, sagte sie stolz zu ihm. Traudl und Charlotte brannten darauf, seinen neuen Dolch zu begutachten, obwohl ihnen ihre Mutter verbot, ihn aus der Scheide zu ziehen. Nur Elsbeth fehlte. Sie arbeitete. Peter spürte einen Anflug von Enttäuschung.
Kapitel zwölf
November 1941
Fast täglich versammelten sich die Kaltenbachs vor dem Volksempfänger, um einer Sondersendung zu lauschen. Diese wurden stets ein oder zwei Stunden
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