Ausländer
Steppe segeln und herabstoßen, um eine sowjetische Panzerformation zu zerstören. Das Leben eines Kampfpiloten musste herrlich sein. Man lebte angenehm, aufLuftwaffenstützpunkten, weit von der Front entfernt. Man bekam die technisch fortschrittlichsten Maschinen zur Verfügung, und man kreiste am Himmel wie ein Raubvogel.
Professor Kaltenbach war hocherfreut, als er hörte, dass Peter Pilot werden wollte. »Ich sehe dich schon direkt vor mir in deiner Luftwaffenuniform«, sagte er. »Wusstest du, dass unsere Kampfpiloten schon in der ersten Kriegswoche viertausend sowjetische Kriegsflugzeuge zerstört haben? Viertausend!«
Fliegen war, so schien es, eine großartige Möglichkeit, den Krieg zu gewinnen. Viel besser, als ein gewöhnlicher Soldat zu sein und durch den Schnee zu stapfen. Zudem war allgemein bekannt, dass die Mädchen Piloten unwiderstehlich fanden.
Zumindest hatte das Segur augenzwinkernd zu ihm gesagt. Peter war nicht übermäßig an Mädchen interessiert, was er sich Segur gegenüber jedoch nicht anmerken ließ. Mädchen wollten sich nicht die Hände schmutzig machen beim Herumschrauben an einem Zweizylinder, sie wollten sich nicht die Knie verschrammen beim Herumkriechen auf einem Hindernisparcours der HJ . Mädchen mochten das Kämpfen nicht, vor allem nicht das Boxen, das sie allwöchentlich bei der HJ trainierten. Allein schon die Vorstellung, Mädchen würden boxen – Peter und Segur machten sich einen Spaß daraus, wenn sie zusammen im Ring trainierten. Sobald ihnen der Trainer nicht mehr zusah, taten sie, als wären sie Mädchen, patschten einander auf die Boxhandschuhe und kreischten dabei erschrocken, die Köpfe voneinander abgewandt, die Mienen verzerrt in gespieltem Missfallen.
Peter und Segur waren stolz, der Hitlerjugend anzugehören. Jeder deutsche Sieg begeisterte sie. Aber Segur gehörte nicht zu jenen Spinnern, deren höchstes Ziel es offenbar war, für den Führer zu sterben. Segur wollte noch am Leben sein, wenn derKrieg zu Ende wäre. Peter auch. Wenn die anderen Jungen darüber jammerten, dass sie noch zu jung waren, um in den Kampf zu ziehen, stimmten Peter und Segur zum Schein mit ein. Aber auf dem gemeinsamen Nachhauseweg meinte Segur mit schelmischem Grinsen: »Je schneller der Krieg vorüber ist, desto besser. Falls wir kämpfen müssen, müssen wir eben kämpfen. Das würde mir nichts ausmachen. Aber falls nicht …« Dabei schüttelte er triumphierend die Faust.
Peter fragte ihn, welcher Waffengattung er am liebsten beitreten würde. »Jedenfalls nicht der SS . Aber die würde mich eh nicht haben wollen«, witzelte Segur.
Segurs Bruder Kurt kämpfte in Russland als Wehrmachtssoldat. »Mein Bruder sagt, dass die SS -Divisionen an der Frontlinie die schlimmsten Kämpfe ausfechten.
Sie sind die besten«, fuhr er fort. »Gegen die würde ich nicht antreten wollen. Sie bekommen die härtesten Aufgaben zugeteilt und haben auch die größten Verluste. Das ist bei Elitetruppen immer so.
Überhaupt – stell dir mal vor, du müsstest dein ganzes Leben unter einem Haufen von Judenhassern verbringen. Versteh mich nicht falsch. Ich will die Juden nicht verteidigen, aber es langweilt mich zu Tode, ständig über sie zu reden.«
Peter wusste, dass er Segur für solche Gedanken hätte melden müssen, ganz zu schweigen davon, dass Segur sie sogar laut aussprach. Aber dazu konnte er sich nicht durchringen. Die Nazis redeten stets von Treue, und Peter war der Ansicht, dass man seinen Freunden und seiner Familie ebenso die Treue halten musste wie der Partei und dem deutschen Volk. Davon war er zutiefst überzeugt, auch wenn er wusste, dass er dies besser für sich behielt.
In der Schule und bei den HJ -Versammlungen bläuten ihnen die Lehrer und Ausbilder ein, es sei ihre Pflicht, jeden anzuzeigen – und wenn es die eigenen Eltern wären –, der eine mangelnde nationalsozialistische Gesinnung zeigte. In der Schule hatte Ulrich, einer von Peters Klassenkameraden, sich gemeldet und berichtet, sein Vater habe im Kreis der Familie gesagt, die Juden seien keine schlechten Menschen und die Nazis seien verrückt, die Juden zu verfolgen.
Der Lehrer hatte ihm für diese Information gedankt und die Klasse aufgefordert, ihm für sein völkisch gesinntes Handeln Beifall zu spenden. Ulrich schien mit sich recht zufrieden zu sein. Doch drei Tage später kam er mit blasser, elender Miene in die Schule. Zwar verriet er niemandem, was geschehen war, aber es wurde gemunkelt, dass sein Vater
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