Ausländer
so üblem Ruf, dass sie zu einer solchen Veranstaltung mitkäme oder mit einem Ochsen wie dir ausgehen würde!«
Dann boxten sie sich spaßhaft, und Segur meinte: »He, Bruck, deine Begleiterin ist eine dumme Gans. Und eine gewalttätige noch dazu.«
»Keine Sorge«, erwiderte Anna. »Wir finden dort schon ein Mädchen für dich.«
Sie war bester Laune. Die S-Bahn war überfüllt, und die drei standen nahe der Waggontür. Beim Halt am Bahnhof Tiergarten fiel ihr am Bahnsteig ein HJ -Scharführer mit einer kleinen Gruppe jüngerer Burschen auf. »Der ist mit sich offenbar sehr zufrieden«, flüsterte sie Peter zu. Gerade als der Zug wieder anfuhr, sah sie ihm in die Augen und tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn. Die Jungen seiner Schar bemerkten es, und einige fingen an zu kichern. Voller Wut rannte der HJ -Führer auf dem Bahnsteig neben dem Zug her, schrie und schlug gegen das Fenster.
Sämtliche Passagiere im Wagen sahen die drei an. »Bloß ein ehemaliger Freund von mir«, meinte Anna lässig. »Hat nicht verdaut, dass ich ihm den Laufpass gegeben habe.«
Sie betraten einen engen Hof hinter der Oranienburger Straße. Das Café Berta hätte einen frischen Anstrich vertragen können, und die Tische waren klebrig. Ein paar andere Gäste hatten sich schon dort eingefunden, sie aßen Kuchen und tranken Kaffee. Die drei kamen mit einem Jungen ins Gespräch, der sein Haar vorne so lang trug, dass es ihm über ein Auge fiel.
»Wie hast du’s geschafft, deine Haare so lang wachsen zu lassen?«, fragte Peter voller Bewunderung.
Der Junge grinste. »Ich trag immer eine Mütze.« Nach einer Weile, als der Junge sich sicher war, dass er es nicht mit Spionen der Hitlerjugend zu tun hatte, sagte er: »Ich bin Karl. Die Fete findet im Keller statt. Es geht los, wenn noch ein paar mehr da sind.«
Peter hatte erwartet, ein oder zwei bekannte Gesichter aus dem Café Lebensart zu sehen. Aber hier war niemand, den er kannte. Anna und Segur erging es ebenso. »Die anderen sind wohl damit beschäftigt, ihre Stiefel zu polieren oder sich die Leistungsabzeichen auf die HJ -Jacken zu nähen«, witzelte Segur.
Peter begriff jetzt, wie gut Anna daran getan hatte, niemanden sonst mitzubringen. Außer Segur konnten sie hier keinem absolut trauen.
Schließlich wurden sie nach unten, in eine Kellerbar, gerufen. Dort stapelten sie erst einmal Stühle und Tische in eine Ecke, um in der Raummitte eine Tanzfläche zu schaffen. Überall hingen Spinnweben, und alles war voller Staub. »Gut, dass es hier so düster ist«, sagte Segur. »Besser, ich sehe nicht, worauf ich sitze!«
Jemand hatte ein großes amerikanisches Filmplakat von The Jazz Age aufgehängt. Es zeigte ein fröhliches junges Paar beim Küssen vor einer ausgelassenen Tanzszene und einer riesigenFlasche Gin. Anna übersetzte Peter, was auf dem Plakat stand. Viele Wörter konnte sie erraten, verstand aber ihren Sinn in dem Zusammenhang nicht recht. Ein älteres Mädchen kam ihr zu Hilfe. »Eine vernichtende Anklage der verwirrten Kinder der Lust … die sich den vergoldeten Götzen des Jazz und des Gin hingeben!!!«
»Das klingt ziemlich verrückt«, sagte Anna. »Ich frage mich, was das heißen soll.«
»Es bedeutet, sich davon was zu genehmigen«, sagte ihr neuer Freund Karl, der eine Flasche Gin hereingeschmuggelt hatte. Jeder nahm einen Schluck, und allmählich fiel die Nervosität von ihnen ab.
Aus einem Grammofon in der Ecke schallte Jazzmusik. »Ist das nicht zu laut?«, fragte Anna.
»Oben kann man es nicht hören«, sagte Karl.
Sie lauschten Duke Ellington, Benny Goodman, Louis Armstrong … So lauteten die exotischen Namen, von denen die Jungen und Mädchen im Café Lebensart erzählt hatten. Es war sehr aufregend, diese Musik so laut zu hören. Einige Paare begannen, auf ungewöhnliche Art zu tanzen. »Ist das der Jitterbug oder der Boogie-Woogie?«, wollte Anna von Peter wissen, als die Paare sich auf der Tanzfläche umherschleuderten. Sie hatten von diesen amerikanischen Tänzen gehört, die von den Nazis als Zurschaustellung schamloser Enthemmtheit gegeißelt wurden. Warum die Nazis so darüber dachten, war ihnen jetzt klar.
Anna zupfte Peter am Ärmel. »Möchtest du dich dem vergoldeten Götzen hingeben?«, fragte sie mit spöttischer Förmlichkeit und zog ihn in die Mitte des Raums. Sie konnten zwar nicht mit den Tanzfiguren manch anderer Paare mithalten, die sich gegenseitig über die Schulter warfen – und sie hatten Glück,nicht von einem
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