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Ausländer

Ausländer

Titel: Ausländer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baumhaus
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ihr elendes Leben, und wie danken sie es uns?«
    Peter war empört, aber er hatte gelernt, seine Zunge im Zaum zu halten. Es gab zu viele Leute wie Frau Segur auf der Welt. Mit einem Gefühl der Erleichterung radelte er davon. Sie waren in Sicherheit. Niemand würde frühmorgens an ihre Tür klopfen. Er fuhr umgehend zu den Reiters. Frau Reiter öffnete ihm.
    »Ach, du bist es«, sagte sie kühl.
    »Kann ich bitte Anna sprechen?«
    »Anna ist nicht zu Hause.«
    »Können Sie ihr sagen, dass mit Segur alles in Ordnung ist? Ich erzähle es ihr genauer, wenn ich sie wiedersehe.«
    »Das wirst du nicht«, sagte Frau Reiter. »Wir haben beschlossen, dass du und Anna euch nicht mehr treffen werdet. Aber danke für deine Nachricht. Adieu, Peter.«
    Die Tür fiel mit einem entschiedenen Klacken ins Schloss.

Kapitel neunzehn
    November 1942
    Zwei Tage später entdeckte Peter Anna in der Bibliothek. Sie saß auf der anderen Seite des Lesesaals und tat so, als habe sie ihn nicht bemerkt. Das kränkte ihn und machte ihn sogar wütend, deshalb vergrub er sich in seine Bücher. Nach etwa zehn Minuten nahm er flüchtig wahr, wie jemand dicht an seinem Tisch vorbeiging. Als er aufsah, war sie bereits wieder auf dem Weg zur gegenüberliegenden Seite des Saals, aber ein kleiner Zettel steckte zusammengefaltet unter einem seiner Bücher.
    Treffen wir uns draußen. In fünf Minuten.
    Ax
    Es war einer jener regnerischen, kalten Herbstabende, an denen bereits die Vorboten des Winters deutlich zu spüren waren. Anna hatte einen großen Regenschirm aufgespannt und gab ihm winkend zu verstehen, dass er sich zu ihr darunterstellen solle. Sie küssten sich und spazierten Arm in Arm los, den Regenschirm tief gesenkt, damit man ihre Gesichter nicht sehen konnte.
    »Frau Schrader hier – sie kennt Mutter. Ich möchte nicht, dass sie ihr von uns erzählt.«
    Anna hatte ihre Mutter noch nie »Mutter« genannt. Sie ist wütend auf sie , dachte Peter. Gut so . Er hatte schon befürchtet, Anna könnte wütend auf ihn sein.
    »Deine Mutter«, sagte Peter, »hat mir verboten, dich wiederzusehen.«
    Anna gab ein gereiztes Schnauben von sich. »Ja, wir haben wirklich Scheiße gebaut, als wir zu diesem Tanz gegangen sind. Aber keine Sorge. Das legt sich schon wieder. Wir müssen nur einen Monat oder so vorsichtig sein. Weißt du, ich rede mit ihnen, sobald sie sich ein bisschen beruhigt haben. Aber verärgern wir sie nicht, indem wir uns heimlich treffen, so wie jetzt. Das würde nur …«
    Noch bevor sie den Satz zu Ende bringen konnte, packten zwei Polizisten die beiden von links und rechts und stießen den Regenschirm zur Seite. »Ausweise!«, herrschte sie der eine in so drohendem Ton an, dass weder Peter noch Anna zu protestieren wagten.
    Sie zeigten ihre Personalausweise vor und standen wartend im strömenden Regen. Peter hoffte, dass die beiden Männer nichts von ihrem Gespräch zuvor mitbekommen hatten und versuchte nicht nervös zu wirken.
    »Gut«, sagte der eine Polizist und gab ihnen die Ausweise zurück. Der andere lachte. »In der Regel sind es ja die U-Boote, die so versessen darauf sind, nicht gesehen zu werden. Und jetzt verzieht euch.«
    Beide hatte der Vorfall sehr aufgewühlt. »Was hat er denn mit diesen ›U-Booten‹ gemeint?«, fragte Peter.
    »So bezeichnen sich die Juden, die sich verstecken«, sagte Anna. »Wenn sie die Aufforderung zur ›Umsiedlung in den Osten‹ bekommen – die Klugen wissen, was das heißt, und tauchen unter.«
    Peter war ganz Ohr, als Anna dies alles unbefangen ausplauderte.
    »Ich hätte nicht gedacht, dass ein Polizist diesen Ausdruck benutzt.«
    Peter fragte sich, woher sie solche Dinge wusste. »Und was bedeutet ›Umsiedlung in den Osten‹ in Wirklichkeit?«, fragte er vorsichtig.
    Sie seufzte tief und schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht«, sagte sie abwehrend. »Es tut mir leid, Peter. Wir können nicht weiter darüber reden. Ist einfach zu gefährlich.«
    Sie küsste ihn zärtlich auf die Wange und lief dann die Straße hinunter. Je stärker der Regen seine Kleider durchnässte, desto verwirrter fühlte Peter sich.
    Peter hatte den Herbst stets gern gehabt. Die frische Kühle, den Frost und den Nebel, die Silhouetten der entlaubten Bäume vor dem klaren blauen Himmel. Trotz des nahenden Winters erfüllten ihn die Monate Oktober und November immer mit Hoffnung für die Zukunft. Wahrscheinlich, weil im Herbst das neue Schuljahr begann. Außerdem konnte man sich auf Weihnachten freuen und

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