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Ausländer

Ausländer

Titel: Ausländer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baumhaus
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mussten während des Bombardements herangerollt sein, als wir sie nicht hören konnten. Es war entsetzlich. Wir waren in dieser Fabrikgefangen. Ich sehe alles noch vor mir. Die zerborstenen Ziegel und verbogenen Stahlträger, die Treppen voller Blut und Schutt und Gott weiß was für menschlichen Überresten …«
    Er unterbrach sich, als eine der Krankenschwestern vorbeieilte. »Sie haben uns befohlen, niemandem zu erzählen, wie es gewesen ist. Aber ich war im militärischen Nachrichtendienst beschäftigt. Und jetzt erzähle ich euch alles, damit ihr die Wahrheit kennt. Weil ich nicht glaube, dass sie dem deutschen Volk verraten werden, was da wirklich im Gange ist … Ich sehe sie noch in meinen Albträumen, diese Treppe, die nach oben führt. Dort waren die Russen, direkt über unseren Köpfen. In meinen Träumen muss ich mich die Treppe hochschleichen, um herauszufinden, was hinter der Biegung auf dem Treppenabsatz los ist. Oder manchmal bin ich dort, gefangen in der Werkhalle, und die Russen kommen herunter, werfen Granaten auf uns, und dann liege ich dort auf dem dreckigen Boden und mir hängen die Gedärme heraus. Wir dachten alle, wir hätten den Sieg in der Tasche. General Paulus. Er hatte sogar schon Entwürfe für die Siegesmedaille gezeichnet … Wir hatten fast die ganze Stadt eingenommen. Aber sie haben mit allem, was ihnen geblieben war, gekämpft, haben durchgehalten … Und sie werden durchhalten, bis sie uns aus ihrem Land vertrieben haben.«
    Er sank in die Kissen zurück. Sich die Last von der Seele zu reden, hatte ihn erschöpft.
    Eine Zeitlang schwieg er, dann versuchte er sich wieder aufzurichten. Er bedeutete ihnen, näher zu rücken, und fuhr fort.
    »Jetzt ergeht es uns wie jemandem, der einen Wolf an den Ohren gepackt hat und es nicht wagen kann, wieder loszulassen. Dieser ganze Feldzug, das war eine ausgewachsene Katastrophe. Ganz außerordentlich. Mit einer Armee vom Reich aus bis zuden Pforten Asiens vorzustoßen. Eine unglaubliche Leistung … Aber wisst ihr, als wir dort einmarschiert sind, haben uns anfangs viele der Bauern als Befreier gefeiert. Sie sind aus ihren Häusern gekommen, die Mädchen in ihrer Nationaltracht, sie haben gelächelt, uns Blumen zugeworfen, uns Brot angeboten und ihre Kreuze und Ikonen hochgehalten. Wir hatten sie von Stalin und den gottlosen Bolschewiken befreit. Aber sie haben bald gemerkt, dass wir noch viel schlimmer waren. All dieses unsinnige Gerede vom Untermenschen. Es war Wahnsinn, Menschen so schlecht zu behandeln – also haben sie sich natürlich gegen uns gewendet. Das ist doch naheliegend. Es ist wie in einem bösen Märchen …
    Ich war froh, an die Front versetzt zu werden. In der Nachhut weißt du nie, wo der Tod auf dich lauert. Die Partisanen greifen dich wie aus dem Nichts heraus an. Und immer wenn sie das tun, treiben wir zur Vergeltung ganze Dörfer zusammen und bringen alle Bewohner um. Hunderte, Tausende, vernichtet wie Ungeziefer. Das treibt noch mehr von ihnen in die Wälder, um gegen uns zu kämpfen. An der Front hingegen weißt du wenigstens, wer und wo der Feind ist. Und du brauchst keine unschuldigen Zivilisten abzuschlachten.«
    Er streckte Anna eine Hand hin. »Mach weiter mit dem, was du tust«, flüsterte er, gerade laut genug, dass Peter es hören konnte. Sie erschrak, und in ihren Augen stand Panik.
    »Still jetzt, Stefan, du bist ja schon ganz erschöpft.«
    Er wandte sich an Peter. »Sie ist ein gutes Mädchen. Pass gut auf sie auf.«
    »Wir müssen gehen«, sagte Anna. Plötzlich schien sie es sehr eilig zu haben aufzubrechen.
    Auf dem Heimweg war der U-Bahn-Waggon halb leer. Peterkonnte seine Neugier nicht mehr zügeln. »Anna, was ist das, ›was du tust‹?«
    »Nichts«, entgegnete sie rasch. »Stefan hat nur im Fieber fantasiert.« Sie hielt sich an seinem Arm fest.
    Anna nahm Peter nicht mehr mit zu Stefan, obwohl er sie gern begleitet hätte. Immer wenn Peter sie darauf ansprach, wischte sie das Thema einfach beiseite. »Stefan braucht Ruhe.«
    Natürlich erkundigte sich Peter weiterhin nach Stefans Befinden, und in der Woche vor Weihnachten hatte Anna sehr gute Neuigkeiten. »Es geht ihm jetzt schon sehr viel besser. Sein Bein heilt, er wird es also nicht verlieren. Ich hatte schon befürchtet, er würde den Rest seines Lebens auf Krücken herumhumpeln. Wir sind den Ärzten und Schwestern im Krankenhaus sehr dankbar. Sie meinen wohl, dass er eine Gehbehinderung zurückbehalten und immer einen Stock

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