Ausländer
erwarte jeden Moment, dass es an der Tür klopft. Hoffentlich hast du eine gute Geschichte für Professor Kaltenbach auf Lager, wenn sie dich holen kommen. Ich denke, er wird sehr enttäuscht sein.«
Peter wurde heimgeschickt. Auf dem Weg dorthin war ihm ganz elend zumute. Der Abend war eine einzige Achterbahnfahrt gewesen. Und hatte in einem jämmerlichen Fiasko geendet. Zu Hause angekommen, rief er einen Gutenachtgruß RichtungWohnzimmer. Herr und Frau Kaltenbach erwiderten den Gruß, sagten aber nichts weiter.
Peter fand lange keinen Schlaf. Und als ihm schließlich die Augen zufielen, wurde er von einem heftigen Pochen an der Tür aus dem Schlaf gerissen. In kalten Schweiß gebadet fuhr er hoch. Es war nur ein Traum gewesen; ein Traum, der sich in jener Nacht mehrmals wiederholte. Das Klopfen an der Tür blieb jedoch aus. Aber bei Tagesanbruch war Peter nach wie vor überzeugt, dass sie Segur gefasst hatten. Und was war mit dem armen Mann, dem das Café gehörte? Würde er der HJ sagen, er wüsste nichts von einem »Swing-Tanz«? Und der Junge, der wie ein Mädchen gekleidet gewesen war? Man würde ihn bestimmt nach Sachsenhausen bringen, vorausgesetzt, er überlebte die Schläge, die er von der HJ bekäme.
Am nächsten Tag in der Schule war Segur nirgendwo zu sehen. Peters Angst wuchs. Er wartete den ganzen Unterricht über darauf, dass die Gestapo hereinstürmen und ihn aus dem Klassenzimmer zerren würde. Vielleicht hatten sie Anna schon geholt? Ob sie ihn verpfeifen würde? Nein. Das würde sie nie tun. Genauso, wie er sie nie verraten würde – selbst wenn sie ihm drohen würden, ihm sämtliche Fingernägel auszureißen.
Am Unterrichtsende war er trostloser Stimmung, nachdem er den ganzen Tag über zwischen entsetzlicher Angst und Erschöpfung geschwankt hatte. Zweimal war er während des Unterrichts eingeschlafen, woraufhin ihm der Lehrer mit seinem Lineal auf den Kopf geschlagen hatte, um ihn zu wecken.
Er konnte die Anspannung nicht länger ertragen. Von der Schule fuhr er mit seinem Rad direkt zu Segurs Wohnung. Segurs Mutter öffnete ihm die Tür. Sie sah erschüttert und ängstlich aus. »Du bist wohl gekommen, um meinen armen Gerhart zu besuchen«, sagte sie. »Komm und sieh dir an, was sie mit ihm gemacht haben.«
Frau Segur war eine Neunzigprozentige, mindestens. Sie war stolz auf das bronzene Mutterkreuz, das man ihr nach der Geburt ihres vierten Kindes verliehen hatte und das sie stets am Mantel trug. Wenn Hitlerjungen auf der Straße ihr nicht pflichtgemäß die Ehre erwiesen, war sie empört. Peter wusste, dass er jetzt ganz vorsichtig sein musste.
Segur lag im Bett, sein Körper übersät mit Blutergüssen. »Was um Himmels willen ist dir denn passiert?«, fragte Peter.
»Eine Bande Polacken, Straßenfeger«, sagte er. »Oder vielleicht waren es auch Ukrainer. Sie sind grundlos über mich hergefallen.«
»Gerhart, du musst das melden«, meinte seine Mutter.
»Mach ich schon noch«, sagte er. »Sobald ich aufstehen kann, ohne dass mir alles wehtut.«
Sie ging hinaus, um Kaffee und Kuchen für die beiden vorzubereiten. Segur winkte Peter näher zu sich heran. »Sie haben mich verdroschen, Herr im Himmel, und wie sie mich verdroschen haben«, flüsterte er. »Sie haben mich in einem Ladeneingang erwischt und grün und blau geprügelt. Ich konnte mich nicht mehr rühren. Aber diese dummen Schweinehunde haben mich dort liegen lassen. Weil sie die anderen auch noch kriegen wollten. Sie haben mich einfach zurückgelassen. Ich habe gesehen, wie sie etwa fünfzehn Leute in einen Lastwagen verfrachtet haben. Wer weiß, was mit ihnen geschehen wird. Als ich gesehen habe, was sie tun, habe ich mich in den Schatten geschleppt und gehofft, dass sie mich vergessen.«
»Hat einer von denen dich gekannt?«, fragte Peter.
»Nur mit Vornamen. Zum Glück, oder?«
»Und was ist mit diesen ›Polacken‹ und ›Ukrainern‹?«, wollte Peter wissen. »Wenn die Polizei das mitkriegt, werden Unschuldige bestraft. Vielleicht sogar hingerichtet.«
»Daran habe ich nicht gedacht«, sagte Segur. »Ich erzähle ihr, dass du es melden wirst. Ich will nicht, dass sie es tut.«
Damit war Peter einverstanden. Er versicherte Frau Segur, sofort auf die Polizeiwache zu gehen und zu melden, was geschehen war. Gerhart habe ihm alles eingehend geschildert, erklärte er. Die Polizei werde die Schuldigen bestimmt ausfindig machen.
»Slawenabschaum«, sagte Frau Segur. »Wir geben ihnen Arbeit und Essen und verschonen
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