Ausländer
noch schwelenden Ruinen Rauch aufsteigen. Die benachbarte Straße war übersät mit Trümmern, und es brannten immer noch kleine Feuer, sowohl in der Ruine als auch zwischen dem Schutt. Annas Haus lag in der anderen Richtung.
Auf dem Kopfsteinpflaster stand ein großer Flügel. Gebannt sah Peter aus sicherer Entfernung zu, wie er brannte. Als die Flammen sich in den glänzenden schwarzen Rahmen hineingefressen hatten, ächzten die gequälten Saiten, um anschließend zu zerspringen – erst die klirrenden hohen Töne, dann die volleren tiefen. Auch andere Überreste des nächtlichen Luftangriffs lagen verstreut vor den Ruinen auf dem Kopfsteinpflaster: schwelende Sessel, zerbrochene Glasschränke, aufgeschlagene Bücher, deren Seiten im grimmigen Winterwind flatterten …
Ein Haus war komplett eingestürzt, beim Gebäude daneben waren die drei obersten Stockwerke auf die Straße gekracht. Der aus geborstenen Gas- und Abwasserleitungen aufsteigende Gestank mischte sich mit dem von Kohle und verbranntem Fleisch. Verkohlte Leichen lagen auf der Straße und warteten, noch unbedeckt, auf ihre Identifizierung. Einige der Toten wirkten nahezu unverletzt. Vor allem von ihnen ging eine schreckliche Stille aus. Nur ihre Haare bewegten sich im Wind.
Leute standen dicht gedrängt und starrten beklommenschweigend auf das Grauen. Auch Herr Schlosser eilte herbei, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Seine Stiefel knirschten auf dem gefrorenen Boden und den Glassplittern. Er wetterte über die »Terrorbomber« der Briten, die es schon bald heimgezahlt bekommen würden. Niemand ging auf sein Gekeife ein. Peter fragte sich, ob die Umstehenden wohl genauso dachten wie er. Das hier war erst der Anfang …
Kapitel einundzwanzig
18. Januar 1943
Die Bomber kamen überraschend bald zurück. Nicht in der folgenden Nacht, obgleich sie es versuchten. Im Rundfunk wurde gemeldet, dass über Deutschland dreißig Lancaster- und fünf Halifax-Maschinen abgeschossen worden seien und die übrigen »sich zurück nach England davongestohlen« hätten. Aber in der übernächsten Nacht waren sie wieder über Berlin. Dieses Mal wurden sie von der Flugabwehr schon erwartet. Suchscheinwerfer kreisten über der Stadt, ihre hellen Strahlen zerschnitten den Himmel. Der Donner der Flugabwehrgeschütze war ebenso laut wie das Dröhnen der Flugzeuge.
Fotos der britischen Bomber erschienen in den Zeitungen. Die Jungen in Peters HJ -Gruppe studierten sie mit großem Interesse. »Sieh dir nur diese Lancaster und Halifax an«, sagte Segur. »Vier Motoren. Acht Maschinengewehre. Sieben Mann Besatzung. 10 000 Kilogramm Bomben. Tolle Geräte.«
»Ja«, gab Peter ihnen recht. »Aber man fragt sich, warum sie keine Geschützgondel an der Rumpfunterseite haben. Wenn wir in unseren Nachtjägern da oben unterwegs wären, bräuchten wir bloß unter ihnen durchzuflitzen und sie in Stücke zu sprengen.«
Lothar Fleischer hatte sie belauscht. »Ihr Jungs habt überhaupt keine Chance, in die Luftwaffe zu kommen – die nehmen nur die Besten. Und diese Tommy-Bomber sind überhauptnichts gegen unsere Condor. Seht euch doch bloß diese Stirlings an …« Abfällig deutete er mit dem Finger auf ein Zeitungsfoto eines anderen britischen Bombers. Die Maschine stand auf der Rollbahn und ragte wie ein prähistorischer Raubvogel über der Besatzung auf. Die Jungen schnaubten verächtlich.
Segur ergriff das Wort. »Stimmt. Die Tommys haben hässliche Flugzeuge, die nicht mit unseren eleganten Maschinen zu vergleichen sind, aber sie transportieren viel mehr Bomben als die der Luftwaffe.«
Fleischer boxte ihm gegen die Schulter. »Das ist defätistisches Geschwätz, Segur.« Einige Jungen johlten. Segur sah gekränkt aus. Peter kam ihm zu Hilfe.
»Aber es ist eine Tatsache. Steht hier in der Zeitung.«
Das stimmte. Jeder konnte die Angaben über die Flugzeuge nachprüfen.
Fleischer lachte höhnisch. »Wenn du die Royal Air Force so sehr magst, kannst du ja zu denen gehen!«, sagte er und packte Peter im Nacken.
Peter sah rot. Er stand auf und streckte Fleischer mit einem schnellen Hieb an den Kopf zu Boden.
Die übrigen Jungen trennten sie, damit keiner der beiden einen weiteren Schlag platzieren konnte. Walter Hertz, der Scharführer, schaltete sich ein. »Spart euch eure Kräfte für Juden und den Iwan auf, Kameraden.«
Fleischer hielt sich die blutige Nase und bedachte Peter mit einem Blick, der besagte: »Das ist noch nicht das letzte Wort. Noch lange nicht.«
Weitere Kostenlose Bücher