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Ausländer

Ausländer

Titel: Ausländer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baumhaus
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der zwei nackten Glühbirnen, die den Raum erhellten, warf Peter einen Seitenblick auf Elsbeth. Sie wirkte unzufrieden – eher verärgert über die Ruhestörung als verängstigt. Das Gesicht von Frau Kaltenbach glich einer Maske. Was wohl in ihrem Kopf vorging? Unmöglich, das zu erraten.
    Einige der anderen Kinder begannen »Ich sehe was, das du nicht siehst« zu spielen. Für sie war das Ganze ein großes Abenteuer. Ihr Verhalten war ansteckend. Die Leute begannen sich zu unterhalten und Witze zu machen, leicht hysterisch, wie Studenten vor einer wichtigen Prüfung. Die Kinder hatten schon Spinnweben, Staub und Besen durch, als eine heftige Explosiondas Gebäude erschütterte und das Licht zunächst flackerte, um dann ganz zu erlöschen. Schreie waren zu hören, und es stank plötzlich furchtbar – jemand hatte in die Hose gemacht. Und es war so dunkel, dass man nicht mal die Hand vor den Augen sehen konnte.
    Schlosser rief zur Ruhe auf. Seine Stimme klang, als sei er betrunken. »Bleibt, wo ihr seid. Ich hole Kerzen.«
    Als er die Tür öffnete, wehte mit einem Stoß kalter Nachtluft ein anderer Geruch herein. Ziegelstaub. In einiger Entfernung fielen weitere Bomben. Die Flugzeuge waren nicht mehr zu hören, stattdessen aber ein ominöses Rattern, das immer lauter wurde, gefolgt von einem Krachen und Scheppern, das eine Ewigkeit zu dauern schien. Ein Haus stürzte ein. Peter überlegte, wo es wohl sein mochte. Ziemlich nah jedenfalls. Und dann fuhr ihm der Schrecken in die Glieder, als ihm klar wurde, dass es das Gebäude sein könnte, in dem Anna wohnte.
    Schlosser kam mit ein paar Kerzen zurück und schloss die Tür hinter sich. »Scheint, sie ziehen ab«, verkündete er. »Aber wir bleiben hier bis zur Entwarnung.«
    Peter sah seine aufgedunsene Silhouette im Türrahmen. Er war ein Bär von einem Mann mit einem eindrucksvollen Bierbauch. Bevor Hitler an die Macht kam, so hatte Peter ihn prahlen hören, sei er bei Naziaufmärschen als Fahnenträger durchs rote Wedding im Norden des Stadtzentrums marschiert und hatte Streit gesucht. Er liebt Hitler so sehr , dachte Peter, dass er sogar ein kleines Hitlerbärtchen trägt. Und wie er in sein kleines bisschen Macht verliebt ist! Schlosser war nicht wie die übrigen Hausbewohner. Er war grob wie ein Holzklotz.
    Auch Annas Eltern wussten über ihn Bescheid. Er hatte oft herumerzählt, dass er schon seit 1924 Nazi war. Das sei nunseine Belohnung, sagte Otto: Blockwart von all den Wichtigtuern zu sein, eine eigene kleine Wohnung zu besitzen und die Befugnis zu haben, diesen Akademikern, Staatsdienern und arroganten Hausfrauen mit ihren kleinen Hunden zu befehlen, ihre Hakenkreuzfahnen herauszuhängen und mit den übrigen Volksgenossen »Sieg Heil« zu schreien.
    Eine weitere zähe, fröstelige Stunde verstrich, bis um drei Uhr morgens die Entwarnung kam und alle wieder in ihre Betten stolperten. Peter blickte aus dem Fenster, konnte jedoch in der Nähe nichts Ungewöhnliches entdecken. Dennoch brannte er darauf zu erfahren, ob Anna wohlauf war, aber Kaltenbach hatte ihm verboten, vor die Tür zu gehen. »Da stehst du nur den Rettungskräften im Weg«, erklärte er. »Außerdem bist du morgen zu nichts zu gebrauchen, wenn du nicht noch ein bisschen schläfst.«
    Kaum dämmerte es, da versammelte sich die ganze Familie am Radioempfänger, um die Nachrichten zu hören. Frau Kaltenbach erlaubte sogar, dass sie im Wohnzimmer statt am Esstisch frühstückten.
    Die Bombardierung Berlins war die dritte oder vierte Meldung. Der Bericht war durchwegs positiv. Die »Terrorbomber«, so der Nachrichtensprecher, hätten kaum Schaden angerichtet, abgesehen davon, dass die einige Kilometer westlich des Wittenbergplatzes gelegene Deutschlandhalle getroffen worden sei. Dort hätte gerade vor zehntausend Zuschauern eine Zirkusvorführung stattgefunden. Das gesamte Publikum und auch die Tiere seien erfolgreich evakuiert worden, trumpfte der Sprecher auf, obgleich das Gebäude Schaden erlitten habe.
    Peter beeilte sich mit seinem Frühstück und bat Frau Kaltenbach um Erlaubnis, nachsehen zu dürfen, was in ihrer Umgebung zerstört worden sei. Als sie zustimmend nickte, rannte er los, die Treppe hinunter. Traudl wollte mit ihm kommen, aber ihre Mutter verbot es. »Vielleicht kein schöner Anblick«, sagte sie kurz angebunden.
    Peter lief auf die Straße und wurde sofort vom grellen Licht der Wintersonne geblendet. Er folgte einfach dem Brandgeruch, und als er näher kam, sah er aus den

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