Ausländer
»totalen Krieg« angekündigt hatte, wirkte sich auf jedermanns Leben aus. Die Kaltenbachs verloren ihre Hausangestellte. Yaryna wurde vom Rüstungsministerium zur Arbeit in einer Munitionsfabrik im Westen der Stadt verpflichtet. Einen Ersatz fand Frau Kaltenbach nicht. Nun mussten alle im Haushalt mithelfen, insbesondere die jüngeren Mädchen. »Und warum muss Peter nicht abspülen und Staub wischen?«, wollte Traudl wissen, die wegen der häuslichen Pflichten weniger Zeit zum Schwimmen hatte.
Professor Kaltenbach schmunzelte wohlwollend. »Unser Führer sagt, ein gutes deutsches Mädchen gehört zu Hause hinter den Herd. Ihr solltet die Hausarbeit als Teil eurer nationalsozialistischen Pflichten ansehen. Außerdem muss Peter gefährlichere Aufgaben verrichten.«
Die Angehörigen der Hitlerjugend wurden zum Luftschutz abkommandiert. Einige von Peters Schulkameraden mussten Luftabwehrgeschütze bedienen, andere wurden Feuerwehreinheiten zugeteilt. Diese Arbeiten waren nicht ungefährlich. Schon bei den Übungen mit den Geschützen holte sich mancher Flak-Helfer gebrochene Finger oder verletzte sich den Arm. Die Hilfskräfte bei der Feuerwehr wiederum mussten damit rechnen, in einsturzgefährdete Gebäude geschickt zu werden. Peter war froh, davon verschont zu bleiben. Und außerdem, so wurde hinter vorgehaltener Hand geredet, mussten sie nach Luftangriffen Leichen aus dem Schutt ziehen und auf den Straßen stapeln, damit sie identifiziert werden konnten. Das war doch bestimmt nicht die richtige Aufgabe für junge Burschen?
Peter meldete sich freiwillig als Bote. Wenn Telefonleitungen zwischen Geschützstellungen zusammenbrachen oder Feuerbeobachtungsposten ausfielen, musste er sich aufs Fahrrad schwingen und die Anweisungen selbst überbringen. Das sagte ihm zu. Es war vielleicht gefährlich, aber etwas zu tun, um die Menschen vor den Bomben zu schützen, gefiel ihm. Anna war beeindruckt.
»Im BDM haben sie auch Arbeit für uns«, erzählte sie. »Wir werden im Katastropheneinsatz gebraucht. Da müssen wir an Leute, die ausgebombt wurden, Essen verteilen und sie auch anderweitig unterstützen. Offenbar befürchten sie wirklich das Schlimmste, oder?
Aber ich bin froh, dass man uns etwas Sinnvolles zu tun gibt. Wir haben so viel Zeit darauf verschwendet, Geld und Materialien für den Krieg zu sammeln und unsinnige Vorträge über uns ergehen zu lassen, wie wir bessere Nationalsozialisten werden können. Jetzt können wir uns wenigstens nützlich machen.«
Anna erzählte, sie habe gehört, dass in München Tausende von Anti-Nazi-Flugblättern verteilt worden seien. Auf einmal war Peter ganz aufgeregt. »Wäre es nicht toll, auch so was zu machen?«
Die halbe Nacht machte er sich darüber Gedanken. So oft hatte er seine Meinung sagen wollen und doch den Mund gehalten. Er brannte darauf, etwas in dieser Art zu unternehmen. Der Welt mitzuteilen, was er wirklich dachte. Und seine Botentätigkeit verschaffte ihm die besten Bedingungen – wenn er während der Luftangriffe mit dem Fahrrad unterwegs wäre, könnte er in Hauseingängen Flugblätter ablegen. Alle wären dann in den Bunkern und Kellern, wer also sollte ihn erwischen? Anna würde beeindruckt sein.
Als er ihr am nächsten Tag davon erzählte, reagierte sie verhalten. »Das Papier ist doch so knapp. Über jedes Fitzelchen müssen wir Rechenschaft ablegen. Hast du daran mal gedacht?«
Peter schüttelte den Kopf. »Aber wir müssen doch irgendwas unternehmen!«
Sie hielt inne und formte mit ihren schmalen Händen eine kleine Brücke.
»Mit solchen Flugblättern erzählt man den Leuten nur das, was sie ohnehin schon wissen«, meinte sie.
»Das stimmt nicht.« Peter war gereizt. »Sie zeigen den Menschen, dass nicht alle Hitler blind gehorchen. Sie geben ihnen einen Hoffnungsschimmer. Ich finde, wir sollten es machen.«
»Alleine schaffen wir das nicht«, entgegnete Anna abweisend. »Und wen sollten wir um Hilfe bitten? Segur vielleicht? Seit derPrügelei ist er nicht mehr der Alte. Und wir bräuchten Papier und eine Möglichkeit zum Vervielfältigen.«
»Das kriegen wir schon hin. Bei mir in der Schule gibt es das alles. Wir könnten nachts dort einbrechen.«
»Peter, du bist nicht ganz bei Trost.« Jetzt war sie wirklich verärgert. »Das ist viel zu gefährlich. Erinnerst du dich noch an die Plakate im Herbst? Dieser Junge, Helmuth Hübener, er war sechzehn, und sie haben ihn hingerichtet, weil er genau das getan hat, was du vorschlägst.«
Anna
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