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Ausländer

Ausländer

Titel: Ausländer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baumhaus
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Wehrertüchtigungslager geschickt. Das blieb Peter vorerst noch erspart.
    Auf dem Weg zum Badezimmer sah Peter, dass die Tür zu Professor Kaltenbachs Arbeitszimmer einen Spaltbreit offen stand. Das war noch nie vorgekommen. Kaltenbach hielt die Tür stets geschlossen. Als Charlotte ihn einmal nach dem Grund danach fragte, sagte er: »Streng geheime Arbeit, mein Schatz. Streng geheim zum Wohle unseres Vaterlandes.«
    Kaltenbach musste sein Zimmer an jenem Morgen in großer Eile verlassen haben. Der Schlüssel steckte noch im Schloss. Vielleicht hatte ein Streit mit Liese ihn abgelenkt. In letzter Zeit zankten die beiden sich häufig.
    Peter hatte diesen Raum noch nie betreten. Niemandem außer Frau Kaltenbach war das erlaubt. Die Kinder wussten, dass sie ihren Vater im Arbeitszimmer nicht stören durften.
    Peter stand einen Augenblick vor der Tür und lauschte, ob sich jemand im Zimmer befand. Dann schob er die Tür mit dem Zeigefinger langsam auf. Während sie sich so weit öffnete, dass er hineinspähen konnte, quietschte sie fürchterlich. Bei dem Geräusch zuckte er zusammen und spürte ein schreckliches Nagen im Bauch. »Halt! Mach das nicht!«, warnte ihn eine leise Stimme in seinem Kopf. Aber es war, als würde er von einem Magneten hineingezogen. Das Arbeitszimmer war hell, aber schmal, mit einem großen Fenster an einem Ende. Davor stand ein klobiges Rollpult, übersät mit Papieren, Akten und Büchern.Entlang der Wände reihten sich Bücherregale und metallene Aktenschränke aneinander. Für Kaltenbachs Schreibtischstuhl aus Mahagoni und Leder war kaum Platz. Die einzige freie Stelle an den Wänden nahm ein gerahmtes Foto des Führers ein.
    Peter trat ins Zimmer und lauschte dabei angestrengt in Richtung Wohnungstür. Wenn jetzt jemand nach Hause käme, würde man ihn auf frischer Tat ertappen. Die Eingangstür lag dem Arbeitszimmer direkt gegenüber.
    Es war eine seltsame, traumähnliche Atmosphäre. Die strahlende, warme Sonne. Die Stille in dem Zimmer. Die schreckliche Vorahnung. »Lass es bleiben! Geh raus!«, raunte die Stimme in seinem Kopf immer wieder.
    Bei einem der Briefe auf dem mit Papieren überhäuften Schreibtisch fiel Peter die Losung »Sterilisiert die Juden. Dann wird sich gesundes und unsauberes Blut nicht mehr mischen« ins Auge, die in schwarzer Frakturschrift auf die Rückseite des Umschlags gestempelt war.
    Peter griff nach einer Zeitschrift und blätterte sie durch. Wolfgang Abel – einer von Kaltenbachs Kollegen – hatte darin einen Artikel veröffentlicht. Vor nicht ganz sechs Wochen war Abel einmal zum Abendessen da gewesen. Er hatte von einer anthropologischen Studie erzählt, die er an sowjetischen Kriegsgefangenen durchführte. Seine Erkenntnisse, die in einem kurzen Absatz am Anfang des Beitrags zusammengefasst waren, waren aufsehenerregend. Die Russen hatten mehr nordische Anteile als bisher gedacht. Das machte aus ihnen schwierigere Gegner als die osteuropäischen Slawen. Peter schüttelte den Kopf und legte die Zeitschrift exakt an ihren Platz zurück.
    Eine Akte auf dem Schreibtisch lag halb offen da, sorgfältig getippte Blätter lugten heraus. Am oberen Rand war überall dieZeile STRENG GEHEIM   – MEDIZINISCHE ABTEILUNG SACHSENHAUSEN zu lesen.
    Peter starrte auf die Blätter und wagte es kaum, sie in die Hand zu nehmen. Er versuchte, sich ihren Inhalt zusammenzureimen. Beim Überfliegen der ersten Seite stachen ihm bestimmte Wörter und Sätze ins Auge: »Zur Erweiterung unserer Kenntnisse …«, »Impfstoff gegen epidemische Gelbsucht …«, »sind Todesfälle zu erwarten …«, »Menschenmaterial …«, und dann Zahlenkolonnen zu Juden, Polen, Russen, Zigeunern, Asiaten und Europiden, jeweils unterteilt in die Blutgruppen A , B , AB und 0 . Das zumindest sagte Peter etwas. Im Erste-Hilfe-Kurs der HJ hatte man ihnen die Blutgruppen erklärt.
    In schwarzer Tintenschrift war am unteren Rand des Blatts eine Notiz angefügt.
    Bisher gibt es keine Anzeichen, dass der rassische Ursprung und/oder die Blutgruppe der Infizierten irgendwelche Hinweise auf die zu erwartende Todesrate liefern. Untersuchung nicht schlüssiger als menschliche/tierische Infektion. F
    War Kaltenbach darin verwickelt oder las er bloß darüber? Peter wollte nicht glauben, dass dieser Mann, der für ihn gesorgt, ihn bei sich zu Hause aufgenommen und ihn vor dem Waisenhaus bewahrt hatte, an irgendwelchen schändlichen Experimenten beteiligt war. Aber Peter konnte sich auch vorstellen, dass sich

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