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Ausländer

Ausländer

Titel: Ausländer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baumhaus
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bezogenen Bett lag, ging ihm Wladek nicht aus dem Kopf. Die Soldaten in den Flugzeugen waren Mörder; es stimmte, was die Nazis sagten. Die britischen Bomber töteten wahllos. Aber auch die Nazis hasste er, weil sie diesen Jungen hatten hungern lassen, bis eine britische Bombe seinem Leiden ein Ende setzte.
    Am Tag darauf kursierten in der Stadt zahlreiche Gerüchte. Tausende Tote, Hunderttausende obdachlos geworden. DieRadionachrichten verkündeten, es sei zwar Schaden entstanden, jedoch habe es nicht so viele Opfer gegeben wie befürchtet. Diesmal zog Peter, besonders nachdem er einiges davon mit eigenen Augen gesehen hatte, die offizielle Version den Gerüchten vor. Aber es ärgerte ihn, den Sprecher sagen zu hören, das Volk von Berlin habe »in einer großartigen Bekundung nationalsozialistischer Begeisterung« geholfen, die Schäden zu beseitigen.
    Der Luftangriff in den ersten Märztagen schockierte alle Menschen. Selbst in Peters HJ -Schar war die Stimmung anschließend tagelang gedämpft. Viele der Jungen waren in die nächstgelegenen von Bomben verwüsteten Viertel geschickt worden, und die meisten hatten zum ersten Mal den Tod gesehen.
    Eine Woche später erzählten die Reiters Peter beim Tee, es werde über Meutereien gemunkelt – Soldaten würden sich weigern, an die Front zu ziehen –, doch diskrete Erkundigungen in der Bendlerstraße hätten diese Geschichten als pure Hirngespinste entlarvt. »Trotzdem«, sagte Peter. »Es gibt Grund zur Hoffnung. Denkt nur an die Tausenden Flugblätter, die in München verteilt wurden.«
    »Diese Geschichte hat ein ziemlich unerfreuliches Ende gefunden«, sagte der Oberst. Auch er hatte von seinen Kollegen im Ersatzheer davon gehört. »Es war eine Gruppe Studenten, die sich ›Die Weiße Rose‹ nannte. Sie haben Flugblätter verteilt, auf denen sie zum Sturz der Nazis aufriefen. Eine von ihnen, ein Mädchen, warf einen ganzen Packen Handzettel vom Treppenabsatz aus in die Eingangshalle der Universität«, sagte der Oberst. »Sie muss lebensmüde gewesen sein. Vier von ihnen sind hingerichtet worden, innerhalb einer Woche nach den Verhaftungen.«
    Ein wenig Trost fanden die Reiters im fortgesetzten Scheitern des deutschen Afrikakorps in Nordafrika. »Wenn wir Glück haben, ist der Krieg vielleicht in sechs Monaten vorbei«, meinte Ula. Oberst Otto schüttelte jedoch den Kopf. »Nein. Die Nazis werden kämpfen bis zum bitteren Ende.«
    Trotz der Bombardierungen und noch strikterer Rationierung von Essen und Kleidung war es immer noch möglich zu vergessen, dass um sie herum ein Krieg tobte. In der letzten Märzwoche nahm Professor Kaltenbach die ganze Familie mit zu einem Konzert in der Beethoven-Halle. Der gefeierte niederländische Pianist Karlrobert Kreiten spielte dort. Als sie im bis auf den letzten Platz gefüllten Zuschauerraum saßen, flüsterte Kaltenbach Peter zu: »Kreiten ist in Deutschland aufgewachsen, und seine Mutter ist Deutsche. Aber sein Vater ist Holländer, also gilt auch er als Holländer. Wirklich lächerlich – er ist doch einer von uns. Das merkt man an der Art, wie er deutsche Musik spielt. Sie ist ihm ins Herz gemeißelt.«
    Kreiten spielte tatsächlich wunderschön. Ausschließlich deutsche und österreichische Komponisten, Beethoven, Mozart und Bruckner. Besonders das Bruckner-Stück gefiel Herrn Kaltenbach. »Keiner versteht die deutsche Seele so gut wie er«, erklärte er.
    Peter saß neben Elsbeth und sah überrascht, dass sie sich während eines Mozart-Klavierkonzerts eine Träne abwischte.

Kapitel fünfundzwanzig
    April 1943
    Immer wenn die Luftschutzsirenen heulten, musste Peter wie alle seine Schulfreunde auf seinen Posten eilen. An regelmäßigen und gründlichen Unterricht war daher nicht mehr zu denken, aber das schien niemanden zu kümmern. »Die Verteidigung des Vaterlandes ist unsere vordringlichste Aufgabe«, erklärte der Direktor bei einem Schulappell seinen Schützlingen. »Nach dem Krieg werdet ihr reichlich Zeit haben, den versäumten Unterricht nachzuholen.«
    Die Luftangriffe erfolgten mit zunehmender Häufigkeit, richteten aber meist keinen so großen Schaden an wie die schweren Bombardements im Januar und März. Peter hatte manchmal die ganze Nacht Bereitschaft und schlief lediglich ein paar Stunden auf einem Feldbett in der Feuerwarte. Die Telefonleitungen waren noch intakt, und so war es ihm bislang erspart geblieben, während eines Angriffs mit dem Fahrrad unterwegs sein zu müssen. Manchmal ging er am

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