Ausländer
das Kaiser-Wilhelm-Institut gerade solchen Dingen mit großem Interesse widmete.
»Du durchtriebener kleiner Schnüffler.«
Wie vom Blitz getroffen schreckte Peter hoch. Das Blatt fiel ihm aus der Hand. Er war ganz starr vor Angst. Es war Elsbeths Stimme.
»Was fällt dir ein, in Vaters Arbeitszimmer herumzuspionieren? Du weißt, dass das verboten ist.«
Langsam drehte er sich um und sah sie an. Sie hatte einen schrecklichen, triumphierenden Ausdruck in den Augen. »Jetzt hab ich dich«, schienen sie zu sagen.
Peter suchte nach einer Ausrede. »Die Tür stand offen. Ich habe nichts angefasst …« Es klang zu lächerlich um fortzufahren.
»Lügner! Damit wirst du nicht davonkommen. Sobald Vater es erfährt, sitzt du im nächsten Zug zurück ins Polackenland – falls sie dich nicht gleich der Gestapo übergeben. Du hast es gewusst! Du hast gewusst, dass du hier drin nichts verloren hast. Das alles ist streng geheim. Du Verräter-Polacke. Du bist ein Spion, gib’s zu!«
Mit dem letzten Satz schien sie ihn beinah zu verspotten.
Peter war so verängstigt, dass es ihm unmöglich war, einen klaren Gedanken zu fassen. Aber irgendwo in seinem Kopf gelang es ihm, ein paar Worte aneinanderzureihen. »Das hier … Sieh doch mal. Da geht es um Experimente. Offenbar um Experimente an Menschen …«
Sie hielt einen Augenblick inne. »Ist mir egal, was das ist. Du, ganz besonders du, hast nicht die Erlaubnis, das anzusehen. Du bist ein Spion. Man sollte dich erschießen. Wenn ich nur dran denke, dass wir dich bei uns aufgenommen und wie einen Bruder behandelt haben.«
Peters Angst verwandelte sich allmählich in Wut. »Elsbeth, du bist doch ausgebildete Krankenschwester. Sieh dir das an. Dann weißt du, dass das unrecht ist.«
»Es steht mir nicht zu, Geheimdokumente zu lesen.«
»Hör zu«, sagte Peter. »Und erklär mir, worum es dabei geht.«
Er las das Vorwort des Berichts vor:
Der vom Führer zum Generalkommissar ernannte SS-Brigadeführer Professor Dr. Brandt ersuchte mich, ihm bei der Zurverfügungstellung von Gefangenen behilflich zu sein, die in Verbindung mit seinen Forschungen über die Ursachen der epidemischen Gelbsucht Verwendung finden sollten, welche dank seiner Bemühungen bereits weit fortgeschritten sind. Zur Erweiterung unserer Kenntnisse, die bisher lediglich auf der Impfung von Tieren mit Erregern menschlichen Ursprungs beruhen, wäre es notwendig, den Vorgang umzukehren und Menschen mit Erregern zu impfen, die in Tieren kultiviert wurden. Mit Todesfällen ist zu rechnen …
An dieser Stelle blickte Peter auf. Die Bosheit in ihren Augen war verschwunden. Einen Moment lang schien es ihr die Sprache verschlagen zu haben. »Das geht uns nichts an«, brachte sie stammelnd heraus. »Was es auch ist, es wird zu Deutschlands Bestem sein. Es geschieht, damit unsere Soldaten am Leben bleiben. Ist mir egal, wenn sie Untermenschen töten, sie können von mir aus tausend Untermenschen umbringen, wenn das einem einzigen deutschen Soldaten das Leben rettet …« Doch während sie das sagte, fing sie an zu weinen.
Tränen strömten ihr übers Gesicht. Sie lehnte sich an die Wand und ließ sich zu Boden sinken. Peter war verblüfft. Was sollte er nun tun? Eine Weile stand er einfach da, während sie vor sich hin schluchzte. Dann sagte er: »Wir sollten hier rausgehen«, und machte dabei einen Schritt Richtung Tür.
Allmählich beruhigte sie sich wieder und wischte sich die Tränen ab. »Nein. Ich will es sehen«, sagte sie. Sie trat an den Schreibtisch und überflog rasch den Bericht. Nach einer Minutesagte sie: »Es handelt sich um ein medizinisches Experiment. Sie infizieren die Gefangenen in Sachsenhausen mit dem Gelbsuchterreger. Dann beobachten sie, ob deren Blutgruppe und Rassetypus irgendwelche Auswirkungen auf den Fortgang der Krankheit haben. Das ist so ähnlich wie bei den Untersuchungen der Arzneimittelfirmen, wenn sie an Tieren neue Impfstoffe und neue Heilmittel testen. Aber hier erproben sie es direkt an Menschen. Um herauszufinden, ob die unterschiedlichen Rassen eine größere oder geringere Widerstandskraft gegen bestimmte Krankheitserreger haben.«
So hatte sie noch nie mit ihm gesprochen. Peter fragte sich, ob sie immer noch vorhatte, ihn zu verraten.
»Mein Gott, sieh dir das an«, flüsterte Elsbeth, als sie vorsichtig Schriftstücke aus einem anderen offen daliegenden Aktenordner herausnahm. Peter stand neben ihr und wagte kaum zu atmen, während sie rasch die erste Seite
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