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Ausländer

Ausländer

Titel: Ausländer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baumhaus
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völlig die Beherrschung verlor. Das ist ein Irrenhaus , dachte er. Ihr seid alle verrückt . Und diesen Pianisten – diesen harmlosen unbedeutenden Menschen, der wahrscheinlich nur irgendetwas Banales ausgesprochen hatte, was alle wussten, aber niemand hören wollte – würde man dafür umbringen.
    Franz und Liese kamen widerstrebend zu dem Schluss, dass ihr Vorhaben im Scheitern begriffen war. Peter besaß viele Qualitäten, die sie sich von einem Sohn wünschten – er war groß gewachsen und von nordischem Aussehen, tapfer und aufgeweckt. Aber aus ihm würde niemals der »politische Soldat« und Bannerträger des Nationalsozialismus werden, zu dem sie ihn zu formen gehofft hatten. Er war zu gutmütig, zu sehr ein »Schlappschwanz« und hatte zu viel Mitleid mit den Unterlegenen.
    »Das ist der Polacke in ihm«, sagte Liese, kurz bevor sie und Franz schlafen gingen. »Ihm fehlt die deutsche Fähigkeit, sich einer Aufgabe ganz und gar hinzugeben, bis sie erledigt ist. Undich habe gesehen, wie er die Ostarbeiter auf der Straße angestarrt hat. Offenbar bemitleidet er sie.«
    Kaltenbach nickte zustimmend. »Und wenn ich mit ihm über unsere Politik rede, plappert er das nach, was Parteilinie ist – er sagt nur, was wir seiner Meinung nach hören wollen.«
    »Mach dir nichts draus«, fuhr sie fort. »Nächstes Jahr kommt er in die Rekrutenausbildung, und da wird man ihm schon den Kopf zurechtrücken. Dann wird es bestimmt besser. Wirst sehen.«
    Kaltenbach beruhigte sich. »Es ist ja auch nicht alles an ihm enttäuschend. Zumindest hat er eine anständige Freundin. Aus einer guten Familie.«
    Liese lächelte, was sie nur selten tat. »Ein solches Paar würde selbst dem Führer gefallen.«
    In dieser Zeit schlief Peter schlecht, fast immer war er schon wach, bevor die Vögel zu zwitschern begannen. In langen schlaflosen Nächten grübelte er darüber nach, wann Frau Reiter ihn wohl wieder bitten würde, Lebensmittel auszuliefern, oder ob die Kaltenbachs ihn nach Polen zurückschicken würden. Seit der Niederlage in Stalingrad behandelten sie ihn noch kühler. Vielleicht lag es an ihrem Stolz. Sie wollten ihren Freunden und Nachbarn nicht eingestehen, dass Peter sich unter ihrer Obhut nicht wunschgemäß entwickelt hatte.
    Stalingrad hatte sie alle bis ins Mark erschüttert. Eines Abends wirkte Charlotte besonders verstört. Schließlich fragte sie ihren Vater: »Meinst du, der Iwan kommt und bringt uns um?«
    Kaltenbach lächelte nachsichtig. Dann ging er einen Atlas holen. »Sieh mal, mein Liebling, Stalingrad liegt da.« Dabeideutete er auf eine Stelle zwischen dem Schwarzen und dem Kaspischen Meer. »Wir sind hier. Schau, wie weit weg das ist.«
    Da ergriff Frau Kaltenbach das Wort. »Der Führer wird dich beschützen, meine Kleine.«
    Sie alle sprachen davon, »die Aufgabe mit typisch deutscher Gründlichkeit zu Ende zu bringen«, eine Phrase, die sie einer Rede von Goebbels entlehnt hatten, und sie versicherten sich immer wieder gegenseitig, dass die deutsche Armee die beste der Welt sei.
    »Die Russen werden nie und nimmer triumphieren. Sie sind Untermenschen«, erklärte Frau Kaltenbach. »Irgendwann werden wir sie zermalmen. Unsere Soldaten wurden erbärmlich schlecht von Kommandeuren geführt, denen es an der rechten nationalsozialistischen Gesinnung mangelt. Ich bin sicher, der Führer unternimmt alles, was in seiner Macht steht, um dieses Problem zu lösen.«
    Zu Beginn des Frühlings kam Peter eines Tages von einer anstrengenden Schicht nach Hause. Er hatte die ganze Nacht lang Bereitschaft gehabt und die Zeit totschlagen müssen, nur um im Notfall zur Stelle zu sein. Die Langeweile zermürbte ihn ebenso wie die vielen Stunden Anwesenheitspflicht. Seit den Angriffen im März waren die Tommys nur noch mit Mosquitos gekommen.
    Die Eingangstür war doppelt abgeschlossen, ein sicheres Zeichen, dass niemand zu Hause war. Zuerst wollte er sich nur ein Bad einlassen und dann ins Bett fallen. Aber weil er das Alleinsein in der Wohnung immer genoss, frühstückte er in aller Ruhe und setzte sich im Wohnzimmer in die hereinströmende strahlende Sonne.
    Die Sonne machte ihm gute Laune. Abends sollte er an einem Leichtathletikwettkampf der HJ teilnehmen, und er freute sich sogar darauf. Lothar Fleischer war vor Kurzem aus Berlin weggezogen, und seitdem ging Peter viel lieber zu den Treffen der HJ . Alle Jungen in Fleischers Alter wurden zur Vorbereitung auf den Kriegseinsatz für drei Monate in ein

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