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Ausländer

Ausländer

Titel: Ausländer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baumhaus
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weiß, dass du ein aufgeweckter Junge bist«, sagte Lichtmann. »Und ich vertraue dir. Hol den besten Preis heraus, den du kriegen kannst.«
    Peter sprach mit Anna darüber. Sie schüttelte nur den Kopf. »Ich hab keinen Schimmer, wo man da anfangen soll. Aber ich wette, Segur weiß es.«
    Segur konnte man ebenso gut fragen wie jeden anderen, obwohl Peter und Anna ihn nicht mehr oft getroffen hatten, seitdem er zusammengeschlagen worden war.
    Sie verabredeten sich zu einem Kaffee nach der Schule. Peter fragte Segur, ob er jemanden kenne, der an Briefmarken interessiert sei. »Könnte sein«, erwiderte Segur. »Wer will das wissen?«
    »Ich habe eine seltene 40 -Pfennig-Marke aus der Kamerun-Serie zu verkaufen«, sagte Peter.
    »Du hast dich doch nie für Briefmarken interessiert«, sagte Segur. »Warum jetzt auf einmal?«
    Peter war völlig vor den Kopf gestoßen. Er hatte nicht erwartet, ausgefragt zu werden. Und er hatte keine plausible Geschichte parat.
    »Ich bin nur neugierig«, erklärte Segur. »Kannst du sie mir mal zeigen?«
    Peter holte die Marke aus seiner Tasche.
    »Ich zeige sie meinem Onkel«, versprach Segur. »Er kennt sich mit Briefmarken halbwegs aus.«
    »Du gibst aber gut auf sie acht, ja?«, sagte Peter. »Sie ist ziemlich viel wert.«
    »Woher weißt du das?«, fragte Segur.
    »Hat man mir so gesagt.«
    »Woher hast du sie denn?«
    »Ach, sagen wir von einem Freund, und belassen wir es dabei«, erwiderte Peter. Ihm gefiel die Richtung nicht, die dieses Gespräch nahm.
    »Wie hoch schätzt du den Wert?«
    »Er sagte etwas von vierhundert Reichsmark«, entgegnete Peter. »Aber Annas Vater meint, sie sei sechshundert wert.«
    Er unterbrach sich sofort und machte sich Sorgen, ob er nicht schon zu viel verraten hatte.
    Anschließend fiel Peter kein Gesprächsthema mehr ein. Früher hatte er mit Segur über alles reden können, was ihm gerade durch den Kopf ging. Doch jetzt schien es ihm, als wären sie zwei Fremde, die zufällig an der Bushaltestelle miteinander ins Gespräch gekommen waren und denen plötzlich bewusst wurde, dass sie sich nichts zu sagen hatten.
    Segur hatte es eilig. Er stürzte seinen Kaffee hinunter und klopfte Peter auf den Rücken.
    »Ich werd sehen, was sich machen lässt«, versprach er.

Kapitel neunundzwanzig
    Juli 1943
    Gerhart Segur hatte zwar tatsächlich einen Onkel, der sich mit Briefmarken auskannte, aber nicht in der Weise, wie Peter dachte. Onkel Gustav hatte sich Segur am Tag nach der HJ -Razzia im Café Berta vorgestellt. Segur hatte zu viel Angst gehabt, seinen Freunden zu erzählen, was in jener Nacht wirklich geschehen war. Er wünschte, man hätte ihn wirklich in einem Ladeneingang liegen lassen, aber so leichtfertig war die HJ -Patrouille nicht gewesen. Stattdessen hatte man Segur zusammen mit den anderen Verhafteten ins Gestapo-Hauptquartier an der Prinz-Albrecht-Straße gebracht und in eine der Zellen im Keller verfrachtet. Dort warteten sie, zu Tode erschrocken über die Schreie und das Wimmern anderer Gefangener, die »verschärften Verhören« unterzogen wurden.
    Segur hatte bei der Prügelei böse Blessuren abbekommen und war jetzt auf das Schlimmste gefasst. Nie zuvor in seinem Leben hatte er sich so sehr gefürchtet.
    Sie holten ihn am nächsten Vormittag, als ihm vor Schlafmangel und Hunger schon schwindelig war. Mit einem Wachmann an jeder Seite zerrten sie ihn den Flur entlang. Sein ganzer Körper schmerzte, und im Mund hatte er den ekligen Geschmack von Blut und Alkohol.
    Als man ihn nach oben in ein holzgetäfeltes Büro führte und nicht in eine andere Zelle brachte, war er zunächst überrascht und dann erleichtert. Man setzte ihn auf einen roten ledergepolsterten Stuhl, und ein Mann, der ihm gegenüber am Schreibtisch saß, bot ihm eine Tasse Kaffee an.
    »Milch und Zucker?«, fragte der Mann.
    Dann sah er schweigend zu, wie Segur hastig die süße, milchige Flüssigkeit trank.
    Nach dem letzten Schluck begann der Mann wieder zu reden.
    »Heil Hitler. Mein Name ist Leutnant Brauer.«
    Segur blickte ihn an, zu verängstigt, um zu sprechen, und fragte sich, was wohl als Nächstes kam.
    »Du bist ein wirklich dummer Junge gewesen, Gerhart Segur. Den Berichten entnehme ich, dass du zu Leichtsinn neigst, und scheinbar mangelt es dir an echter Hingabe an die nationalsozialistische Sache, aber Leichtsinn ist bei uns noch kein Straftatbestand.« Er lächelte, um deutlich zu machen, dass das ein kleiner Scherz sein sollte. »Und da dies dein erstes

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