Ausländer
und Fensterglas auf den Tisch. »Die habe ich aus einem Laden für Theaterrequisiten.«
Anna erklärte weiter: »Dann fertigt Eugen für uns falsche Ausweise und Reisegenehmigungen an.«
»Es ist ein guter Moment, um wegzugehen«, sagte Frau Reiter. »Halb Berlin schickt seine Kinder raus aufs Land.«
Eine Woche zuvor war Hamburg heftig bombardiert worden. Es hieß, Hunderttausende seien getötet und eine Million Menschen obdachlos geworden. Die deutsche Hauptstadt würde Ziel ähnlicher Angriffe werden, so viel schien sicher.
»Sie werden massenweise Leute zu kontrollieren haben«, meinte Frau Reiter. »Unter ihnen werden wir nicht weiter auffallen. Wir sind Schweden und kehren heim nach Stockholm.«
»Aber ich spreche doch kein Wort Schwedisch«, wandte Peter ein. »Ich kann nicht einmal ›Guten Tag‹ sagen.«
»Ist bei mir nicht viel anders«, entgegnete Anna. »Ich kann nur die wenigen Brocken, die ich bei Besuchen bei Tante Mariel aufgeschnappt habe. Bleibt nur zu hoffen, dass uns keiner bei der Kontrolle oder im Zug anspricht. Nachher bring ich dir ein paar Worte bei.«
»Wir haben uns alles genau zurechtgelegt: Wir haben in Berlin gewohnt, weil euer Vater hier beim Schwedischen Handelsverband arbeitet.«
Den Rest des Tages brachten sie damit zu, ihre Haare und Augenbrauen zu färben. »Man muss sehr aufpassen«, erklärte Frau Reiter. »Wenn man es zu lang einwirken lässt, sieht man aus, als hätte man den Kopf in gelbe Farbe getaucht.«
Anschließend begutachteten sie sich im Badezimmerspiegel. »Jetzt noch die Brillen«, sagte Anna.
Peter war ziemlich überrascht, wie schnell sie sich verwandelt hatten.
»Perfekt ist es nicht«, meinte Frau Reiter. »Aber es ist immerhin ein Anfang.«
Es war seltsam, sich hier zu verstecken und zu versuchen, leise zu sein. Fast wie ein Kinderspiel, doch dann wurde ihnen die schreckliche Realität wieder bewusst. Otto in Gestapohaft. Sie selbst auf der Flucht.
Am Abend kam Eugen Klein nach Hause, ein kleiner, eleganter Mann mit kahlem Kopf, sorgfältig gestutztem Bart und Nickelbrille.
»Bei der Frauenwarte machen sich alle große Sorgen um dich«, erzählte er Ula. »Magda ist überzeugt, dass du bei einem Luftangriff umgekommen bist. Helene befürchtet, du könntest zu krank sein, um ans Telefon zu gehen. Heute Abend will sie zu eurer Wohnung gehen, um nach dem Rechten zu sehen.«
»Na, hoffentlich kommt sie nicht hierher, um dir zu erzählen, dass niemand daheim ist.«
»Das wäre nicht weiter schlimm. Wir dürfen eben nur flüstern, und keiner darf die Tür aufmachen. Wie auch immer, ihr beide seht großartig aus. Trotzdem eine Schande, dass ihr eure dunklen Haare nicht behalten konntet, aber sie suchen zwei dunkelhaarige Frauen.«
Aus einem der Regale nahm er eine Kamera, und sie hängten ein weißes Laken an einen Teil der Wand, der nicht von Bücherregalen oder Bildern verdeckt war. Nachdem die Fotos gemacht waren, sagte Otto: »Ich gehe jetzt ins Atelier, so gegen Mitternacht bin ich zurück. Nehmt euch was zum Abendessen.«
Peter schlug vor, die Lebensmittel zu essen, die er von den Kaltenbachs mitgenommen hatte. »Wir wollen doch nicht Ihre Speisekammer plündern.«
Beim Essen stellte Peter eine Frage, die ihm unter den Nägeln brannte. »Wie haben sie es bloß herausgefunden?«
Ula schüttelte den Kopf. »Es lohnt nicht, daran auch nur einen Gedanken zu verschwenden. Jeder kann es gewesen sein. Vielleicht wissen sie es schon seit Monaten. Vielleicht sind sie uns gefolgt, als wir Essen hingebracht haben. Vielleicht ist ein anderer Helfer oder eines der U-Boote verhaftet worden und hat unter Folter unsere Namen genannt. Vielleicht hatte der Jungean der Tür etwas damit zu tun … Du könnest den Rest deines Lebens damit zubringen, über diese Frage nachzugrübeln. Doch ich mag nicht darüber nachdenken. Es gibt zu viel anderes, was mich beschäftigt.«
Einen Augenblick lang dachte Peter an Segur. Bei ihrer letzten Begegnung hatte er ihm die Briefmarke gegeben. Segur würde so etwas doch nicht tun, oder? Nein. Segur war ein echter Freund. Er war sicher, dass er es nicht gewesen war.
Als Eugen zurückkam, versuchten sie gerade alle zu schlafen. Anna auf dem Sofa, Peter und Ula unbequem auf dem Boden. Peter hörte, wie die Tür aufging. Die anderen rührten sich erst, als Eugen Licht machte. Peter blickte auf die Uhr. Es war halb drei.
»Seht mal«, sagte Eugen. »Bahnfahrkarten, Reisegenehmigungen, Pässe, alles da. Jetzt seid ihr Magdalena,
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