Ausländer
Karin und Nils Edlund!«
Sofort waren alle drei hellwach. »Die sehen perfekt aus!«, sagte Ula. »Wann geht unser Zug?«
»Morgen Vormittag um halb elf nach Sassnitz. Dann nehmt ihr die Fähre nach Trelleborg. Für das Schiff müsst ihr Fahrscheine kaufen, die kann ich nicht fälschen.
Und noch etwas«, sprach Eugen weiter, »Peter, du brauchst einen besseren Mantel. In dem schäbigen Ding könnte man dich für einen Fremdarbeiter halten. Ich leihe dir meinen.«
Eugen holte einen wunderschönen Wollmantel mit Fischgrätmuster. Er war ein bisschen kurz für Peter, aber Ula konnte jederzeit behaupten, dass er gerade herausgewachsen war.
»Das kann ich nicht annehmen«, protestierte Peter. »Haben Sie nicht was Älteres?«
Aber Eugen wusste genau, was er tat. »Ihr drei müsst aussehen wie eine Familie. Ihr müsst so normal wirken, dass niemand euch eines zweiten Blickes würdigt. Wenn Ula und Anna adrett aussehen und du total abgerissen rumläufst, dann fallt ihr auf. Aber wir können ja tauschen. Du lässt mir deine Luftschutzuniform da – die ist bestimmt bald mal nützlich. Einer unserer jüdischen Freunde kann sie sicher brauchen.«
Das klang nach einem fairen Tausch, und schließlich konnte Peter sowieso keine Naziuniform mitnehmen. Wie hätte er das erklären sollen?
Ula umarmte Eugen herzlich »Mein Freund, ich werde dich sehr vermissen. Vielen, vielen Dank!«
Er lächelte sie traurig an. »Wir werden dich vermissen. Und all die Onkel namens Klaus ebenfalls. Aber es ist gut, wenn ihr so schnell wie möglich abreist. Jetzt versucht euch ein wenig auszuruhen, und ich mache euch für morgen ein wenig Reiseproviant zurecht.«
Kapitel vierunddreißig
9. August 1943
Den Schutz der Wohnung zu verlassen war, wie nackt zu einem Schulappell zu gehen. Alle drei fühlten sich schrecklich angreifbar und erwarteten jeden Moment, dass ihnen jemand auf die Schulter tippen oder barsch befehlen würde, stehen zu bleiben. Doch die Erde drehte sich weiter und scherte sich nicht um eine Mutter mit ihren beiden halbwüchsigen Kindern.
»Vergesst nicht: In der Warteschlange dürfen wir nicht miteinander reden«, sagte Ula. »Wenn wir kontrolliert werden und behaupten, aus Schweden zu sein, und die Leute hinter uns haben uns Deutsch sprechen hören, stecken wir in der Klemme. Ihr müsst einfach nur missmutig dreinschauen. Das machen Kinder eures Alters sowieso oft. Das Reden überlasst ihr mir.« Sie wandte sich an Anna. »Ich werde sprechen wie euer Onkel Lennart, wenn er Deutsch mit uns redet.« Beide mussten unwillkürlich kichern. »Aber beten wir, dass niemand auf die Idee kommt, uns auf Schwedisch anzusprechen.«
So vieles kann schiefgehen , dachte Peter. Wer wusste schon, welche Fragen man ihnen stellen würde? Es war eine Sache, sich in der Sicherheit seines Zuhauses schlaue Antworten auszudenken. Aber inmitten einer Menge neugieriger Zuschauer die peinlichen Fragen eines Polizisten oder Soldaten abzuwehren, war etwas ganz anderes. Da konnte eine falsche Antwort der erste Schritt zur Guillotine sein.
Am Lehrter Bahnhof herrschte fast der Belagerungszustand. Menschenschlangen, fünf bis sechs Personen breit und hunderte Personen lang, wanden sich aus dem prächtigen Haupteingang heraus. Es waren fast nur Frauen und Kinder, beladen mit Taschen und Koffern. Alle warteten ordentlich eingereiht, aber Anspannung und Ärger waren ihnen anzumerken. Mütter schrien ihre Kinder aus nichtigen Gründen an. Kinder heulten Rotz und Wasser. Es war eine Versammlung menschlichen Elends.
Die drei stellten sich ans Ende der Schlange. Zuerst fühlten sie sich dort wie zur Schau gestellt, aber im Handumdrehen hatten sich hinter ihnen weitere hunderte Menschen angeschlossen. Bisweilen bewegte sich die Schlange zögerlich ein Stück vorwärts, oft tat sich eine schiere Ewigkeit lang gar nichts. Die Abfahrtszeit des Zugs, für den ihre Fahrkarten galten, verstrich. »Keine Sorge«, sagte Ula, »sie müssen uns in einem der nächsten mitnehmen. Vielleicht hat unserer ja auch Verspätung und ist noch gar nicht abgefahren.«
Anna und Peter, die auf ihren Koffern saßen und so taten, als würden sie dösen, oder mürrisch vor sich hin starrten, schüttelten die Köpfe. Da merkte Ula, dass sie Deutsch mit ihnen gesprochen hatte, und errötete. Aber niemand schien sie auch nur im Geringsten zu beachten.
Kurz nach elf Uhr morgens setzte sich die Schlange endlich in Bewegung, und aus dem sommerlichen Sonnenschein gelangten sie in die
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