Ausländer
machen kann, meine Dame«, sagte der Mann mit einer angedeuteten Verbeugung.
Kaum war er gegangen, entfuhr ihnen ein großer Seufzer der Erleichterung. Aber Peter war immer noch skeptisch. »Warum sind sie so freundlich zu uns?«
Ula hatte eine Theorie. »An meinem letzten Tag in der Redaktion bekamen wir eine Mitteilung aus dem Propagandaministerium mit der Anweisung, Schweden in den Himmel zu loben. Uns war klar, was dahintersteckte. Schweden steht unter enormen Druck, die Handelsbeziehungen mit uns einzustellen«, flüsterte sie. »Die Amerikaner und die Sowjets drohen damit, Schweden als Kollaborateur einzustufen – also fast als eine feindliche Nation –, wenn es weiterhin Handel mit Deutschlandbetreibt. Ich glaube, deshalb versuchen die Nazis so freundlich wie möglich zu sein. Sie möchten, dass die in Deutschland lebenden Schweden nach Hause fahren und ihren Landsleuten erzählen, wie wunderbar die Deutschen sind.«
Kaffee und Kuchen wurden gebracht. Anna und Peter achteten darauf, sich nicht zu verplappern, und sagten zu dem Jungen, der die Sachen hereintrug, nur »tack«, das schwedische Wort für »danke«.
Der Zug traf mit zwei Stunden Verspätung ein. Vor allen anderen Reisenden durften Ula, Peter und Anna sich ganz vorne auf den Bahnsteig stellen. Als die Gatter geöffnet wurden, standen sie am Anfang der Schlange von Passagieren, die verzweifelt darum kämpften einzusteigen.
Der Zug fuhr kurz nach sieben Uhr abends los. Der Tag war ruhig verlaufen, es hatte keinen Luftangriff gegeben. Falls die Briten heute noch angreifen würden, würde es nicht vor Einbruch der Dunkelheit geschehen.
Im Schneckentempo tuckerte der Zug durch die nördlichen Vorstädte – zunächst vorbei an dunklen Wohnblocks, Fabriken und Verschiebebahnhöfen, dann kilometerweit an kleinen Häusern mit Gärten entlang. Danach kam die flache, langweilige Landschaft jenseits der Großstadt. Peter, der aus dem Fenster des überfüllten Waggons starrte, war überrascht, immer noch die bereits weit entfernten Kuppeln und Kirchtürme Berlins erkennen zu können. Erst hinter Oranienburg war nichts mehr von der Hauptstadt zu sehen. Von da an nahm der Zug Fahrt auf. Bäume und Telegrafenmasten warfen lange Schatten im Abendlicht, das gelbe Kornfelder und grüne Heckenreihen in ein schönes, warmes Licht tauchte.
Die übrigen Passagiere in ihrem kleinen Abteil plauderten unablässig miteinander. Es waren zwei Frauen und vier Kinder, alle unter zwölf. Eine der Frauen hatte versucht, sich mit Ula zu unterhalten, aber die hatte in sehr stockendem Deutsch geantwortet, und so war das Gespräch schnell wieder beendet gewesen.
Als die Abenddämmerung allmählich in die Nacht überging, konnte Peter die Augen nicht mehr offen halten. Den Kopf ans Fenster gelehnt, fiel er erschöpft in Schlaf.
Kapitel fünfunddreißig
10. August 1943
Peter erwachte mit einem säuerlichen Geschmack im Mund und einem Brummschädel. Er hätte gern das Fenster in dem stickigen Abteil geöffnet, aber alle Mitreisenden schienen noch zu schlummern, und er wollte sie nicht stören. Von draußen drang Licht herein, aber als er die beschlagene Fensterscheibe freiwischte, war die Landschaft immer noch die gleiche, abgesehen von dem trüben Nebel, der über den Feldern hing. Der Zug war zum Stehen gekommen.
Anna hatte sich an ihn geschmiegt, ihre Hand lag leicht auf seinem Schoß, ihr Kopf an seiner Schulter. Sie schlug die Augen auf. »Guten Morgen, Peter. Hast du überhaupt geschlafen?«
Eilig bedeutete er ihr, still zu sein. Im ersten Moment schaute sie ihn nur verständnislos an, dann aber begriff sie ihren Fehler.
Die Frau gegenüber war ebenfalls erwacht – und blickte zu ihnen herüber.
Kurz vor sieben setzte sich der Zug wieder in Bewegung. Die Norddeutsche Tiefebene huschte vorbei, und bereits vor elf trafen sie in Neustrelitz ein. Fliegende Händler auf dem Bahnsteig priesen lautstark ihre Waren an – Kaffee, Würste, Brezeln, mit Schinken belegter Pumpernickel. Breit lächelnd sagte Ula auf Schwedisch etwas zu Anna und Peter und deutete dabei mit dem Kopf auf den Bahnsteig. »Ja« erwiderten die zwei wie aus einem Mund und um einen schwedischen Akzent bemüht.
Die Frau gegenüber sprach sie auf Deutsch an. »Ich könnte jetzt auch einen Kaffee und etwas Kuchen gebrauchen. Seit gestern Morgen habe ich nichts mehr gegessen.«
Peter biss sich auf die Zunge, um nicht zu antworten. Statt seiner sagte Ula in stockendem Deutsch: »Ich bringä ätwas
Weitere Kostenlose Bücher