Ausländer
beitragen. Er schniefte übertrieben laut und schloss dieAugen, als wollte er schlafen. Das alles nahm einen sehr unguten Verlauf.
Am frühen Nachmittag musste der kleine Sohn der Frau auf die Toilette. Die beiden standen auf und quetschten sich durch den überfüllten Gang. Als sie verschwunden waren, beugte sich die andere Frau verschwörerisch vor und flüsterte: »Ich weiß auch, dass Sie keine Schwedin sind. Ihr Akzent ist falsch.«
Als sie ihre schockierten Mienen sah, sagte sie: »Keine Angst. Es interessiert mich nicht, was Sie vorhaben. Das geht mich nichts an.«
Ula hielt die Fassade aufrecht und widersprach in ihrem gebrochenen Deutsch. Die Frau zwinkerte nur und legte die Hand auf ihr Herz. »Ich wünsche Ihnen viel Glück.«
Nachdem die unfreundliche Frau und ihr Junge wieder zurückgekommen waren, herrschte im Abteil mürrisches Schweigen. Als der Zug eine Stunde später in Neubrandenburg einfuhr, waren sie zutiefst erleichtert, dass die Frau mit ihrem Sohn ausstieg.
Nun leerte sich der Waggon, und die Gänge waren nicht mehr so voll. Peter hatte freien Blick auf den Bahnsteig, und das Letzte, was er aus dem bereits anfahrenden Zug sah, war, dass die Frau mit einem Polizisten sprach.
Als die andere Frau und ihre Kinder kurz das Abteil verließen, um sich die Beine zu vertreten, sagte Peter: »Habt ihr gesehen, dass diese Wichtigtuerin mit einem Polizisten über uns geredet hat?«
»Die Polizei wird nichts auf ihr Gerede geben«, entgegnete Ula.
»Aber der Polizist hat sich etwas notiert«, erwiderte Peter.
Ihre Mitreisende kam zurück, jedoch allein. Lächelnd erklärte sie, dass sie und die Kinder ein leeres Abteil gefunden hätten. »Ihnen viel Glück!«, sagte sie noch einmal, während sie ihre Taschen hinaustrug. Peter wäre beinah aufgesprungen, um ihr zu helfen. Doch er hielt sich zurück und lächelte bloß ausdruckslos. Alle wollten sie den Schein wahren und keinesfalls Deutsch sprechen.
Kaum hatten sie das Abteil für sich allein, begannen sie hastig miteinander zu flüstern. Ula sagte: »Falls die Polizei der Frau geglaubt hat, werden sie den Zug in Stralsund durchsuchen, also beim nächsten Halt, oder in Sassnitz. Deshalb sollten wir auf Nummer sicher gehen. Wenn wir in Stralsund aussteigen und uns ein Hotelzimmer nehmen, können wir vielleicht unsere Spur verwischen.«
»Es tut mir so leid. Ich bin ein solcher Dummkopf«, sagte Anna. Sie hatte sich den ganzen Tag über fürchterlich geschämt, jedoch keine Möglichkeit gehabt, etwas zu sagen. »Aber wenn wir im Zug bleiben würden, könnten wir vielleicht noch heute Abend eine Fähre kriegen.«
Ula blieb zuversichtlich. »Macht nichts. Wir sind schon fast da. Noch eine Nacht, dann haben wir’s geschafft. Ich kann es kaum erwarten, Mariels Gesicht zu sehen, wenn wir plötzlich vor ihrer Tür stehen.«
»Meinst du, sie warten am Bahnhof schon auf uns?«, fragte Peter.
»Nein«, antwortete Ula. »Sie gehen bestimmt davon aus, dass wir im Zug bleiben. Ich bin mir sicher, falls man uns sucht, dann im Zug. Und wenn wir nachher aussteigen, dann auf jeden Fall getrennt, denn sie werden nach einer Frau mit zwei Kindern Ausschau halten.«
Langsam näherte der Zug sich Stralsund. Kurz vor der Ankunft trat Peter in den Gang hinaus. Er schob das Fenster herunter und atmete die frische Meeresluft ein. Sie waren der Ostsee jetzt so nahe. Morgen Abend könnten sie schon in Sicherheit sein.
Er hatte entsetzliche Angst.
Kapitel sechsunddreißig
Als der Zug um halb sechs Uhr nachmittags in Stralsund eintraf, wimmelte es auf dem Bahnhof von Menschen. Die Leute kamen gerade von der Arbeit und fuhren mit den Regionalbahnen nach Hause. Peter, Anna und Ula stiegen an verschiedenen Türen aus und mischten sich unter die Reisenden, die zum Ausgang strömten. Peter hielt den Kopf gesenkt, konnte aber dem Drang nicht widerstehen, rasch einen Blick um sich zu werfen. Zwei Soldaten stiegen in Begleitung eines Polizisten in den Zug. Peter fragte sich sofort, ob sie womöglich nach ihnen suchten.
Auf dem Weg nach draußen entdeckte Peter zuerst Ula, dann Anna. Während er die Straße entlangging, die vom Bahnhof wegführte, achtete er darauf, die beiden nicht aus den Augen zu verlieren.
Nachdem sie ein gutes Stück Richtung Stadtzentrum gelaufen waren, fühlten sie sich sicher genug, um gemeinsam weiterzugehen. Die Stadt sah sehr hübsch aus mit ihren in der Abendsonne leuchtenden roten Dächern und den weißen Hauswänden. Viele der Häuser waren
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