Ausnahmezustand
ins Dach getroffen worden, in den Regalen die Bibeln unberührt.
Ein Fahrradfahrer wird herbeigewunken, damit er zwischen den zerstören Häusern seine Geschichte erzähle. Das alles spricht doch für sich selbst, meint er, der erkennbar nicht auf ein Gespräch erpicht ist. Aber wir möchten es von Ihnen erfahren, drängen meine Begleiter sehr freundlich.
– Wer lesen kann, der lese, sagt der Fahrradfahrer und fährt weiter.
AUCH WIR LIEBEN DAS LEBEN
Palästina, April 2005
Auch wir lieben das Leben, wo wir nur können
,
Wir tanzen zwischen zwei Märtyrern, stellen zwischen den
Märtyrern ein Minarett auf für die Veilchen oder eine Palme
.
Wir lieben das Leben, wo wir nur können
,
Und stehlen dem Seidenwurm einen Faden, einen Himmel zu
errichten und den Aufbruch zu umzäunen
.
Wir öffnen das Gartentor, damit der Jasmin als schöner Tag
auf die Straßen hinausgeht
.
Mahmud Darwisch
Auf der Suche nach Palästina
Ich fliege nach Palästina! mailte ich einem Freund vor der Reise. Wo ist das? fragte er mich, halb spöttisch, halb mitleidig. Wo ist Palästina? Fünf Tage bin ich kreuz und quer durch die Besetzten Gebiete gefahren und habe es nicht gefunden. Vor drei Jahren, nach dem Scheitern der Friedensverhandlungen und dem Ausbruch der zweiten Intifada, gab es immerhin einen Traum, der die Palästinenser vereinte. Sie waren wütend, und viele fanden Rechtfertigungen für die Gewalt, sogar für die Gewalt gegen Zivilisten, aber alle hatten doch ein Ziel vor Augen: ihren eigenen Staat. Und sie wußten, daß dieser Staat auf die Grenzen von 1967 begrenzt sein würde. Niemand sprach von Haifa, Jaffa, Akko. Es ging um Nablus, Jericho, Ost-Jerusalem. Da war Verzweiflung – aber immerhin auch Leidenschaft, Schmerz. Diesmal sah ich nur Apathie. Bei aller Skepsis gegenüber den Medien war ich in der Hoffnung angereist, es sei tatsächlich wieder Bewegung in den Friedensprozeß gekommen. Ariel Scharon hatte den Rückzug aus Gaza angekündigt, George W. Bush versprochen, sich für einen palästinensischen Staat einzusetzen, die Palästinenser hatten mit Mahmud Abbas einen Präsidenten gewählt, der sogar Israel als ein Mann des Friedensgilt. Die Radikalen hatten schon lange keinen Anschlag mehr verübt. Im Gegenzug hatte die israelische Armee manche Restriktionen aufgehoben. So hieß es auf allen westlichen Kanälen. Vor Ort stellt sich schon nach dem ersten Nachmittag, dem ersten Checkpoint, der ersten Zeitungslektüre, den ersten Gesprächen heraus: Die guten Nachrichten sind eine mediale Blase – von wem und aus welchen Motiven auch immer in die Luft gepustet.
Ohne Hoffnung
Auf palästinensischem Boden hat sich nichts geändert, das Anlaß zur Hoffnung geben könnte – nicht die Schikanen der israelischen Armee und nicht die Gewaltbereitschaft der Palästinenser, nicht die Korruption der Autonomiebehörde und schon gar nicht der Wille Scharons, Ost-Jerusalem und die großen Siedlungsblocks im Westjordanland, in denen achtzig Prozent der Siedler leben, dauerhaft zu annektieren. Die Palästinenser, die nach Vorhersagen der Demographen bald schon die Mehrheit in Eretz Israel bilden und damit qua Existenz das israelische Selbstverständnis als «jüdischer und demokratischer» Staat in Frage stellen, wären größtenteils in vier unzusammenhängende und daher leicht zu kontrollierende Enklaven zusammengepfercht, die eine in Gaza, die anderen drei im Westjordanland. Durch den Rückzug aus Gaza kann sich der israelische Ministerpräsident als Mann des Ausgleichs zeigen und den internationalen Druck mindern. Was sein eigentliches Ziel ist, zeigt der unverminderte Ausbau israelischer Siedlungen im Westjordanland und sprach sein Berater Dov Weißglas am 6. Oktober 2004 in der Tageszeitung
Ha´aretz
offen aus: «Der eigentliche Sinn des Rückzugs ist das Einfrieren des Friedensprozesses. Wenn das gelingt, gibt es keinen palästinensischen Staat und keine Gespräche über Flüchtlinge, Grenzen und den Status von Jerusalem.» Der Rückzug aus Gaza, so fuhr Dov fort, sei «die Dosis Formalin, die man braucht, um zu verhindern, daß es zu einem politischen Dialog mit den Palästinensern kommt.»
Schon jetzt gibt es bei einer Fahrt von Hebron im Süden nach Nablus im Norden des Westjordanlands kaum einen Abschnitt, wo der Blick herumschweifen könnte, ohne auf dem einen oder anderen Hügel
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