Ausnahmezustand
Kloster
,
Ein Tempel für die Götzen, die Kaaba für Pilger,
Die Tafeln der Tora, die Blätter des Korans.
Ich folge der Religion der Liebe
Wohin auch ihr Reittier sich wendet,
Dort kehr’ ich mich hin.
Ibn Arabis Grabmoschee liegt mitten im alten Salihiyya-Viertel von Damaskus, einem engmaschigen Netz sehr belebter, nicht herausgeputzter Gassen und Gäßchen, in die es auch in friedlichen Zeiten nur wenige Ausländer verschlug. Nach Geschlechtern getrennt, sind die Gläubigen in stilles Gottgedenken versunken, psalmodieren leise den Koran, der vor ihnen auf kleinen Holzständern liegt, oder verrichten ihr Ritualgebet. Manche tragen die langen Haare und bunten Ringe der Derwische, andere die langen Bärte, kurzen Haare und weißen Gewänder, die man auch von Salafisten kennt, dazwischen einige Männer in westlichen Anzügen, die Wangen glattrasiert, außerdem Kinder, die zwischen den Gläubigen spielen. Auch ich verrichte mein Gebet und werde, noch bevor ich mir eine Wand zum Verweilen suchen kann, von einem jungen Mann angesprochen, der mich in gebrochenem Persisch fragt, ob ich Iraner sei. Offenbar hat er an der Stellung der Hände bemerkt, daß ich dem schiitischen Ritus gefolgt bin. Ich müsse vorsichtig sein, sagt er leise, Iraner hätten zur Zeit viele Feinde in Syrien. Den Ratschlag erhalte ich oft: Weil die Islamische Republik den syrischen Staat mit Geld, Waffen und Militärberatern unterstützt, sollte man sich auf den Straßen besser nicht als Iraner zu erkennen geben.
Wir ziehen uns zurück in eine Ecke des Schreins, um uns ungestört zu unterhalten. Der junge Mann ist begeistert, daß ich die Schriften Ibn Arabis kenne, und begeistert zugleich von Iran, läßt keinen Zweifel aufkommen, daß er auf Seiten der syrischen Regierung steht, spricht von den Aufständischen nur als Extremisten und Terroristen. Ob er denn wisse, daß die Islamische Republik Sufis gnadenlos verfolge, frage ich. Der junge Mann versteht erst nicht und fragt dann mehrfach nach, ob er richtig verstanden hat. Ja, sage ich immer wieder und berichte von den vielen Derwischklöstern,die in Iran dem Erdboden gleichgemacht, und den mystischen Scheichs, die mit geschorenen Haaren durch die Straßen getrieben oder sogar hingerichtet worden seien. Anders als in Syrien könnten die Sufis ihre Rituale in Iran nur im Untergrund praktizieren, unter großer Gefahr. Der junge Mann kann es einfach nicht glauben, so wenig er mir andererseits zu mißtrauen scheint: Er nimmt den syrischen Staat als Bollwerk gegen den Islamismus wahr, der den Sufismus bedroht, und nun hört er, daß ausgerechnet der engste Partner, ja, die Schutzmacht dieses Staates die eigenen Sufis verfolgt und ermordet.
Der Aufstand in Syrien wirbelt die eingefahrenen Muster auch unserer Wahrnehmung durcheinander. Das strikt säkulare, seinem ganzen Habitus nach weltliche Regime hat als Hauptsponsor eine islamische Theokratie, während der Westen auf Seiten einer Opposition steht, die jedenfalls in Teilen dezidiert religiös ist; vollkommen weltläufig wirkende, perfekt Englisch sprechende Syrer verteidigen die autoritären Strukturen mit dem Argument, daß das Volk für die Freiheit noch nicht reif genug sei, und fordern beim Whisky, daß die Armee die Aufständischen mit eisernem Besen aus dem Land kehrt, während bärtige Männer und streng verschleierte Frauen ihre Hoffnung auf die Demokratie setzen und an die Menschenrechte appellieren. Und dazwischen hört man von Kommandanten der Freien Armee, die auf die Frage, warum sie sich einen Bart wachsen ließen, antworten: Gebt ihr uns Waffen, dann rasieren wir uns wieder.
Denken ohne Zwischentöne
Raschid Darar kennt die Frommen, vor denen sich in Syrien nicht nur Regierungsanhänger fürchten, er kennt sie hautnah. Jahrelang hat er mit ihnen eine Gefängniszelle geteilt. Der Geistliche, der wegen seiner regimekritischen Haltung in keiner Moschee mehr predigen darf, hat die «Islamisch-Demokratische Bewegung» gegründet, die zusammen mit einigen anderen Oppositionsparteien vom Staat geduldet wird. Einmal, so erzählt Darar in einem Café nahedes Bahnhofs, das von den bekanntesten Intellektuellen frequentiert wird und damit wohl auch von Mitarbeitern des Geheimdienstes, einmal habe ihn ein islamistischer Häftling in barschem Ton gefragt, ob er überhaupt das Ritualgebet verrichte.
– Wie alt bist du? fragte Darar zurück.
– Fünfunddreißig, antwortete der Islamist.
– Ich verrichte mein Gebet länger, als Du lebst,
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