Ausnahmezustand
sagte Darar, worauf der Islamist eine Weile schwieg.
– Dann fragte er Darar, ob er an die Demokratie glaube. Darar bejahte.
– Und an die Menschenrechte?
– Ebenfalls.
– Dann bist du auf jeden Fall ein Ungläubiger.
Noch sei ein solches Denken ohne Zwischentöne, das die Welt strikt nach gläubig und ungläubig, erlaubt und verboten aufteilt, den meisten Syrern suspekt, betont Darar. Die Lebenswirklichkeit der Menschen sei nun einmal voller Zwischentöne, und gerade aus den Dörfern höre man immer wieder, daß die militanten Islamisten dort nicht willkommen seien. Allein, wenn der Staat weiterhin auf nackte Gewalt setze und das Blutvergießen anhalte, werde sich nach und nach auch die Bevölkerung radikalisieren.
– Ich habe Angst um mein Land und Angst um meine Religion.
Die Intensivstation
Kai und ich verabreden uns mit einem Fahrer, der uns an allen Checkpoints vorbei in eine der verwüsteten Gebiete rund um Damaskus zu schleusen verspricht. Auf einer mehrspurigen Straße, an der rechter Hand zerstörte Häuser zu sehen sind, fahren wir auf den Standstreifen und biegen auf ein müllübersätes Feld ab. Unser Taxi ist nicht das einzige Auto, das sich über das ziemlich unebene Gelände müht, und es ist auch nicht dunkel, sondern hellichter Tag. Der kleine Pendelverkehr zwischen Krieg und Frieden scheint also hingenommen zu werden.
Die Stadt, in die wir gelangen, wirkt auf den ersten Blick menschenleer. Die Wände der mehrstöckigen Häuser sind von Einschußlöchern leichter und schwerer Geschütze übersät, kaum ein Fenster heil, auf dem Beton gesplittertes Glas, leere Patronen, die Spuren von Panzern und verstreute Abfälle, die Rolläden der Geschäfte heruntergelassen und teilweise umgebogen, so daß man hineinschauen kann, alles Inventar darinnen geplündert. Wahrscheinlich haben die streunenden Hunde auch ihren Anteil gehabt. Nach der vierten Kreuzung entdecken wir doch einzelne Menschen, eine Frau mit zwei Einkaufstüten zunächst, einen Straßenzug weiter auch Kinder. Wir passieren Häuserzeilen, die zum Teil noch bewohnt scheinen, Wäsche auf dem Balkon, eine Bäckerei, vor der sich eine kleine Schlange gebildet hat, hier und da Straßenhändler mit Obst oder Lebensmitteln. Dann wieder einige hundert Meter vollkommene Stille. Mit dem Strom ist es auch merkwürdig, größtenteils scheint er nicht zu funktionieren, aber dann fahren wir durch eine Straße, in der die Laternen am hellichten Tag leuchten.
An einem abgebrannten Krankenhaus gehe ich entlang, um einen Einstieg zu suchen, und stoße in der Seitenstraße auf das Schild einer gynäkologischen Praxis. Ich steige einige Treppen hinab und stehe plötzlich einigen Männern und Frauen in grünen, staub- und rußbedeckten Kitteln gegenüber, die genauso erschrocken zu sein scheinen wie ich. Ich stelle mich vor und frage, ob ich mir das Krankenhaus anschauen dürfe. Eine Ärztin zögert einige Sekunden, blickt zu ihren Kollegen, bevor sie mit einem sehr traurigen Gesichtsausdruck nickt. Darf ich den Photographen holen? frage ich. Wieder zögert die Ärztin und blickt sich um. In Ordnung, sagt sie schließlich und tritt mit mir auf die Straße, um dem Fahrer zu zeigen, wo er unauffällig parken kann. Dann führt sie uns durch die dunklen Flure, in denen das Wasser knöchelhoch steht und die Stromkabel von der Decke hängen. Sie seien erst vor drei Tagen zurückgekehrt, um so gut es geht aufzuräumen, erklärt die Ärztin. Offenbar sind die Angreifer durch die Flure gelaufen und haben in jedes einzelne Arzt-, Behandlungs- und Krankenzimmer Brandbombenoder etwas Ähnliches geworfen, keine Granaten scheint es, weil die rußgeschwärzten Wände nicht aufgerissen sind. Die Fensterscheiben sind zersplittert, sämtliche Einrichtungsgegenstände bis auf die Eisengestelle verkohlt, die Krankenbetten, die Rollstühle, die Liegen, alles nur noch Gerippe.
– Wer waren die Angreifer? frage ich.
Die Ärztin kann es nicht genau sagen, weil die gesamte Belegschaft mitsamt den Patienten geflohen sei, als die Armee in das Viertel einrückte. Aber sie vermute natürlich, daß es Milizen waren.
– Schabiha?
– Wer sonst? antwortet die Ärztin.
Dann führt sie mich zur Intensivstation, die im obersten Geschoß liegt. Drei Patienten hätten sie gehabt, die nicht aus dem Krankenhaus getragen werden konnten, zwei sehr alte Männer und einen Jungen, außerdem einen Pfleger, der sich geweigert habe, die Kranken zurückzulassen.
Wir treten in die
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