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Ausradiert: Thriller (German Edition)

Ausradiert: Thriller (German Edition)

Titel: Ausradiert: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Abrahams
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beider Hände in sein T-Shirt gekrallt und würde niemals loslassen. Warum sollte er? Tommy hatte recht. Was für einen Unterschied machte es, wo er starb? Er hatte nichts zu verlieren.
    Tommy stieß sich mit Macht ab, angetrieben von der Kraft der Verzweiflung, und riss Nick beinahe von dem Baumstumpf los. Aber nicht ganz; Nick klebte daran wie eine Napfschnecke. Tommy schrie, ein gurgelnder Unterwasserschrei. Seine Beine strampelten noch ein paarmal und dann erschlaffte er, die leblosen Arme trieben an seinen Seiten. Nick zog seine Hände hinunter, löste sie von Tommys Armen, frei. Wo war oben? Er schaute sich um, sah in der Ferne ein winziges Funkeln, stieß sich mit aller Kraft und berstenden Lungen in diese Richtung ab.
    Nick durchbrach die Oberfläche, sog die liebliche Luft ein, zuerst keuchend, dann in langen würgenden Zügen und schließlich einfach langsam und ruhig, auf dem Rücken treibend. Er liebte das Wasser, schon immer. Nur ein Wasserliebhaber würde am Strand wohnen und einen See als Ferienort wählen. Über ihm leuchteten Mond und Sterne, zuerst verkehrt herum, wie ein Negativ, normalisierten sich aber rasch. Er wusste, wie er von dort oben aussehen musste, ein dürrer Typ, der ganz allein mitten in der Nacht auf dem Rücken über den See trieb, die Hände vor dem Körper gefesselt. Aber es ging ihm gut.
    Er wartete darauf, dass sein Vater sagte: So ist es.
    Nichts.
    Aber es ging ihm trotzdem gut. Als Erstes die Handschellen. Tommy musste die Schlüssel haben. Er würde auftauchen, aber nicht allzu bald. Wie standen die Chancen, ihn dort unten in der Dunkelheit zu finden? Nicht gut. Aber dann platzte eine dicke Blase an der Oberfläche direkt neben Nick, und noch eine, nicht ganz so dicke, Luft, die aus Tommys Kleidern aufstieg oder aus seiner Lunge, oder Körpergase. Nick atmete ein paarmal tief ein, hielt die Luft an und tauchte hinunter zu der Stelle, von der die Blasen aufstiegen.
    Tiefer und tiefer in die Kälte, die Finsternis. Nick hatte nichts zu befürchten. Seine gefesselten Hände trafen auf den Grund. Er tastete sich durch den Schlamm, mit langsamen Beinschlägen, bis er mit dem Kopf gegen etwas stieß. Was? Einen Baumstumpf. Er tastete ihn ab, die andere Seite, den Boden darunter. Die Spitze seines Zeigefingers berührte etwas mit einer unverwechselbaren, ganz eigenen Textur, wie ein gekochtes, gepelltes Ei, aber fester – ein menschliches Auge. Nick zuckte kurz zusammen, eine elektrische Reaktion, die er nicht unterdrücken konnte, dann glitten seine Hände eilig über die Leiche, fanden die Hosentasche, ein Schlüsselbund. Er stieß sich ab.
    An der Oberfläche, das Schlüsselbund in der Hand, fühlte Nick sich nicht mehr ganz so gut. Er trieb auf dem Rücken, atmete nur, spürte, wie die Strömung ihn irgendwohin trug. Nach einer Weile dachte er an das Dingi, fand die Kraft, sich danach umzusehen.
    Nichts.
    Aber das spielte keine Rolle. Mit den Handschellen wäre er sowieso nicht in der Lage, es aufzurichten und hineinzuklettern, und er würde es nicht riskieren, die Schlüssel zu verlieren, indem er versuchte, die Handschellen im Wasser aufzuschließen. Und die Ruder – sie würden auch fort sein.
    Nick musterte die nächstgelegene Uferlinie, einen dunklen topographischen Schattenriss, studierte die Senken und Erhebungen. Er glaubte, die Stelle zu erkennen, wo die Straße in einen verlassenen Zeltplatz mündete, ungefähr fünfhundert Meter hinter seinem Haus, wählte ein gewölbtes Ziel zehn Grad weiter links, ein gewölbtes Ziel, von dem er hoffte, dass es die Felsnase an der Einfahrt zu seinem Feldweg war, drehte sich auf den Rücken und schwamm in diese Richtung; seine linke Hand umklammerte das Schlüsselbund, geborgen von seiner Rechten.

    Nicks Kopf stieß gegen eine harte Kante. Er schlug im Wasser wild um sich, erkannte, was es war: der Steg. Nick schwamm um ihn herum, kroch ans Ufer, blieb liegen. Der Mond, die Sterne, der rote Planet, alle in Bewegung, zogen ihre getrennten Bahnen. Nick beobachtete sie lange Zeit. Er wollte aufstehen, aber konnte es nicht, konnte sich überhaupt nicht rühren. Erst eine Krabbe, die durch den Sand schlurfte und mit einer Klaue nach seinem Haar tastete, brachte ihn dazu, sich in Bewegung zu setzen.
    Nick richtete sich auf, ging die Schlüssel an Tommys Bund durch – ein Ring mit einem daran baumelnden Harleyemblem – und entdeckte den Handschellenschlüssel sofort; kurz, mit der Spitze nach oben, zum Öffnen des

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