Ausradiert: Thriller (German Edition)
zu – mit dem linken Fuß zuerst, der rechte begnügte sich gegenwärtig damit, hinterhergezogen zu werden.
»Nick! Was tun Sie da?«
Die Krankenschwester stand in der Tür.
»Spazieren gehen«, erwiderte Nick.
»Lassen Sie den Quatsch.« Sie hastete ins Zimmer. »Wir wissen nicht mal, ob Sie –« Sie verstummte.
»Ich bin auf.«
»Sie legen sich sofort wieder hin.«
»Ich bin nicht müde.«
Sie legte die Hände auf seine Schultern, als wollte sie ihn hinunterdrücken. Nick mochte sie, mochte diese leuchtenden Augen und das kleine weiße Häubchen, hatte jedoch keineswegs die Absicht, sich von ihr hinunterdrücken zu lassen.
Sie drückte ihn hinunter; mit sanfter Hand, aber erstaunlich kräftig. »Kommen Sie, ich helfe Ihnen, die Beine hochzuziehen.«
»Keine Hilfe«, sagte Nick. Seine Beine hochziehen – ein Klacks. Er konnte hundertmal hintereinander die Beine hochziehen, wann immer er wollte. Dazu noch dieses blöde kurze Nachthemd. Er wollte nicht, dass sie ihn so sah. Nick zog die Beine ganz allein aufs Bett, vielleicht mit einer winzigen Hilfestellung ihrerseits. Er legte sich hin. Sie deckte ihn mit dem Laken zu, legte ihm eine Hand, so weich, auf die Stirn.
»Wie fühlen Sie sich?«, fragte sie.
»Großartig.«
»Haben Sie Ihre Meinung über die Besucher geändert?«
»Meine Meinung geändert?«
»Es waren einige Leute da, die Sie besuchen wollten. Sie haben nein gesagt.«
»Ich treffe sie morgen«, sagte Nick.
Sie tätschelte seine Schulter. »Gut.«
»Zu Hause«, sagte Nick. »Ich gehe morgen Vormittag nach Hause. Sie sollten lieber die Schläuche entfernen.«
»Wo wohnen Sie, Nick?«
»Ich habe ein Zuhause.«
»In L. A.?«
»Mhm.«
»In welchem Viertel?«
Er schloss die Augen, spürte ihre Hand noch immer auf seiner Schulter.
»Wie heißen Sie?«, fragte er.
»Billie.«
»Wie Billie Holiday?«
»Ja.«
»Die liebe ich«, sagte Nick.
»Ich auch«, erwiderte Billie. »Was ist Ihr Lieblingslied?«
»Von ihr?« Nick fiel kein einziges ein. Er versuchte die Augen zu öffnen, aber die Lider waren zu schwer. »Keine Besucher im Krankenhaus, Billie«, sagte er. »Versprechen Sie es mir?«
Ihre Antwort entging ihm, so schnell schlief er ein. Sein Verstand hatte eine Menge zu tun, wollte ihn aus dem Weg schaffen; er konnte spüren, wie der Verstand ihn stilllegte. Es war alles genau verkehrt herum, sein Verstand ließ sich nicht beeinflussen.
Nick wachte auf. Dunkelheit; ein Rechteck aus Licht fiel durch den Türrahmen; im Flur Stille. Er setzte sich auf, zog das Laken herunter, bewegte die Beine über die Bettkante, fiel zur Seite – dieses Mal absichtlich –, spürte den Boden unter den Füßen, stemmte sich hoch. Nichts dabei. Er zog den Ständer zu sich heran, entwirrte die Schläuche, ging quer durch das Zimmer. Schritt – nachziehen, Schritt – nachziehen, Schritt – nachziehen, und als er das Rechteck aus Licht betrat, erschien jemand im Spiegel, ein Mann mit Verbänden um den Kopf. Als Nick näher heran-, aus dem Licht trat, verschwand der Mann, aber dann, in Reichweite des Spiegels, erschien er wieder.
Selbstverständlich war er es selbst. Er hatte es die ganze Zeit gewusst, hatte sich nur von ein paar oberflächlichen Unterschieden zum Narren halten lassen. Nick starrte sein Gesicht an. Dünner, als er erwartet hatte, fast abgemagert und auf eine Weise anders als früher, die er im Augenblick nicht benennen konnte, aber das war auf jeden Fall er selbst, wie immer man es nahm. Er hob die Hände, eigentlich nur die linke, und wickelte die Verbände ab. Nick beugte sich zum Spiegel.
Keine Haare. Sie hatten ihn kahlgeschoren, bei manchen Typen sah das cool aus. Eine Reihe von Stichen verlief in Form eines Hufeisens über die linke Hälfte seines Schädels und den Scheitel, einige waren mit getrocknetem Blut verkrustet. Nick versuchte sie zu zählen, aber es waren zu viele, und das Licht war schlecht. Er fuhr mit dem Finger über die Naht, spürte überhaupt keinen Schmerz. Was war das an seinem Finger? Klebriges Blut, aber nur ein bisschen, wie ein Schnitt beim Rasieren. Kein Grund zur Besorgnis. Dann tat Nick etwas Komisches: Er gab sich selbst im Spiegel ein linkshändiges Daumen-hoch-Zeichen. Spiegel-Nick tat, was der echte Nick nicht konnte: Er gab ein rechtshändiges Daumen-hoch zurück. Sie grinsten sich an, teilten das Geheimnis, dass das Schlimmste überstanden war.
Nick sah sich nach seiner Kleidung um, konnte sie nicht entdecken. Er öffnete einen
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