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Ausradiert: Thriller (German Edition)

Ausradiert: Thriller (German Edition)

Titel: Ausradiert: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Abrahams
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Schrank. Darin hing sein dunkelblauer Anzug. Er berührte ihn, betastete das Gewebe. Tränen schossen ihm in die Augen, was verrückt war. Kein Anlass. Hier war er, stand, ging. Nick wischte sich mit dem Arm die Augen – mit dem linken Arm, die Schläuche waren dabei ein bisschen im Weg – und nahm seinen Anzug vom Bügel. Sein Finger blieb im rechten Ärmel hängen. Was war das? Ein Loch, nicht rund, eher ein unregelmäßiger Riss, ungefähr drei Zentimeter lang und einen Zentimeter breit. Wie war das passiert? Er tastete seinen rechten Arm oben in Höhe des Bizeps ab und spürte eine harte Schwellung, ungefähr so groß wie eine Vierteldollarmünze. Er hob seinen rechten Arm mit dem linken an und entdeckte eine verschorfte Stelle. Sie mussten ihm Spritzen verpasst haben. Aber durch das Jackett? Das schien ziemlich achtlos. Er schritthumpelte auf die Tür zu, das Jackett in der Hand, während er darüber nachdachte, ob er es zum Stopfen geben sollte. Er wollte keinen Aufstand machen, aber der dunkelblaue war zufällig sein Lieblingsanzug. Nick wusste das, obwohl er sich die anderen um nichts in der Welt vorstellen konnte.
    An der Wand neben der Tür hing ein flacher Kasten, in dem Papiere steckten. Nick zögerte. Er zwängte seinen rechten Arm in den Ärmel, zog das Jackett an – zur Hälfte an, die Schläuche waren im Weg. Er fühlte sich besser, korrekter gekleidet. Eine verschwommene Erinnerung trieb durch seinen Verstand und verschwand fast sofort wieder, so schnell, dass er kein geistiges Bild sehen konnte, nur wusste, dass die Erinnerung irgendwo da drin existierte – ein barfüßiger Mann in Anzug und Krawatte.
    Nick nahm die Papiere aus dem Kasten. Er las den Namen oben auf der ersten Seite: Nick Petrov.
    Petrov. Nick Petrov. Er sagte ihn laut. »Nick Petrov.« Es klang gut. Adresse: 221 Cooper St., Venice, CA. In diesem Augenblick fielen ihm die anderen Anzüge wieder ein: schwarz, anthrazitgrau, mittelgrau, hellgrau. Sie hingen im Schlafzimmerschrank in der 221 Cooper Street. Er konnte das Schlafzimmer vor sich sehen, die Küche, die Treppe: Wie eine Blume in Zeitlupe erblühte der komplette Grundriss in seinem Verstand. Ein gutes Zeichen. Seine Genesung machte rasante Fortschritte; Nick brauchte keinen Arzt, der ihm das bestätigte.

    Diagnose: Glioblastoma multiforme, Grad IV. Keine Erwähnung von Krebs oder Tumoren, was bedeutete, dass sie sich korrigiert hatten oder seine kleine Unterhaltung mit Dr. Tully nur ein Traum gewesen war. Was war schlimmer als Krebs? Nichts. Deshalb war dieses Glioblastoma multiforme nicht so schlimm, sehr wahrscheinlich bezog es sich auf die Blutung im Gehirn, multiforme bedeutete zweifellos verschiedene Teile des Gehirns, und Grad IV war vermutlich ein gutes Zeichen, so wie ein Einbruch dritten Grades nichts war, worüber man sich viele Sorgen machen musste, und Eier erster Klasse besonders groß waren.

    Therapie: Postkraniotomie – interstitielle Chemo, Bestrahlung, möglicherweise MAbs – zur Diskussion

    Das musste ein Fehler in den Akten sein, diese ganzen Behandlungen waren ja jetzt, da die Diagnose feststand, unnötig.

    Prognose: Der Patient ist ein 42 Jahre alter männlicher Weißer, bis dahin in ausgezeichneter körperlicher Verfassung, aber –

    »Nick!«
    Er schaute auf. Die Schwester stand wieder im Türrahmen. Sie hatte die Ohrringe gewechselt – vorher rote, jetzt blaue; merkwürdig, so etwas mitten in der Nacht zu tun. Billie – ihr Name fiel ihm einfach so ein, seine Erinnerung funktionierte tadellos – riss ihm die Akte aus der Hand.
    »Was machen Sie da?«, fragte sie.
    »Nach Hause gehen. Ich habe ein Haus in Venice. Die Tür ist schwarz und hat einen Messingdrücker.«
    »Sie legen sich sofort wieder hin«, kommandierte Billie, ergriff seinen Arm und führte ihn zum Bett. »Und Sie stehen erst wieder auf, wenn Dr. Tully es erlaubt. Sie haben ja noch nicht mal mit der Physio angefangen.«
    »Brauche ich nicht«, sagte Nick.
    Sie versuchte wieder, ihn nach unten zu drücken. Nick wollte erst Widerstand leisten, ihr seine physische Stärke demonstrieren, aber plötzlich überkam ihn die Müdigkeit, als wäre sein Tank in null Komma nichts von voll auf leer gesprungen. Er legte sich hin, zog seine Beine ohne Hilfe, oder doch beinah ohne, hoch und streckte sie aus. Billie begann an dem leeren Ärmel seines Jacketts zu ziehen.
    »Lassen Sie das«, sagte er.
    »Ich will es in den Schrank hängen«, sagte Billie.
    »Ich behalte es an«,

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