Ausradiert: Thriller (German Edition)
langsam. Die Taschenlampe streifte seinen Kopf. Nicht fest genug, um ihn bewusstlos zu schlagen oder auch nur starke Schmerzen zu verursachen, aber sie trennte ihn von der plötzlichen Woge der Stärke. Er kippte zur Seite. Der Mann stürzte davon, schoss durch die Hintertür. Nick hörte ihn über den Rasen am Kanal rennen und nicht lange danach das stotternde Geräusch eines anspringenden Motorrads. Es röhrte davon, außer Hörweite.
Nick erhob sich. Er schaltete das Licht an. Eine der Glasscheiben in der Hintertür, direkt neben dem Schloss, war zersplittert. Er durchsuchte den Raum. Es fehlte nichts, abgesehen von dem alten Mannschaftsfoto der Desert High School. War es wertvoll? Nick hatte keine Ahnung. Aber in seinem eigenen Haus beraubt zu werden – inakzeptabel. Er war noch nicht tot. Einer der Geier war ein wenig zu früh erschienen.
Geier. Hier hielt er abrupt inne.
14
N ick war noch nicht tot. Das sagte er sich, während er stundenlang auf dem Bett lag, zu erschöpft, um sich zu rühren. »Noch nicht tot.« Aber er brauchte Schlaf, und jedes Mal, wenn er die Augen schloss, sah er einen roten dreizehigen Fuß mit schwarzen Klauen, begleitet von einem dumpfen Schmerz in seinem rechten Oberarm, obwohl sein rechter Arm in letzter Zeit nicht viel gespürt hatte. Und sofort riss er die Augen wieder auf.
Nach einer Weile bemerkte er, dass die Nacht vorüber war. Tageslicht erfüllte das Zimmer, schwer und gelb, beinah fest, so als könnte man es wiegen. Nick hatte dieses Licht schon einmal gesehen, in dem Beerdigungsinstitut, in dem seine Mutter aufgebahrt worden war. Wie konnte er sich an etwas erinnern, das so lange zurücklag? Haltlosigkeit – die Haltlosigkeit eines Invaliden, die er verabscheute, aber er konnte die Erschöpfung nicht bezwingen; Geier, seine Mutter, Brustkrebs, Hirntumor, alles wirbelte in seinem Kopf durcheinander.
Wo war seine dunkelblaue Anzugjacke? Im Schrank. Nick stemmte sich in eine sitzende Haltung – nicht ganz bei Kräften, seine Wiederherstellung machte leichte Rückschritte, aber nur, weil er so müde war –, entdeckte seinen Stock am Fußende des Bettes, schob sich zur Kante, stieß sich hoch.
Leichter Schwindel; das konnte jedem passieren. Nick fiel, aber nach hinten, sicher aufs Bett, vollkommen kontrolliert. Dehydrierung verursachte Schwindelgefühle, das war rein wissenschaftlich.
Er entwarf den vernünftigen, wohldurchdachten Plan, in die Küche zu gehen, ein Glas aus dem Regal zu nehmen, es mit köstlichem Quellwasser aus dem Kühlschrank zu füllen. Er konnte es fast schmecken. Aber erst ein kurzes Schläfchen.
Nick wachte auf. Immer noch Tag, aber das Licht hatte sich normalisiert, diese erstickende, zombiehafte Schwere war völlig verschwunden. Er fühlte sich hervorragend, stieg ohne Schwierigkeiten aus dem Bett, oder fast ohne. Der dunkelblaue Anzug hing im Schrank. Er untersuchte das Loch im rechten Ärmel, ein unregelmäßiger Riss, wie ihn ein stählerner Fingernagel reißen mochte. Im Spiegel zeigte sein Bizeps eine dazu passende schwache Verfärbung. Das Erinnerungsfragment an eine glutrote Sonne, die über der leeren Wüste pulsierte, ging ihm durch den Kopf, aber vielleicht war es die Erinnerung an einen Film und nicht an die Realität, denn seine einzige Wüstenerfahrung bestand in Fahrten nach Las Vegas; seines Wissens. Und seines Wissens war er nie von einem Geier angegriffen worden.
Er ging in die Küche, lehnte seinen Stock an den Kühlschrank, trank drei Gläser Wasser. Wasser war Leben; Nick konnte es auf der Zunge spüren. Er rief im Krankenhaus an und verlangte nach Billie.
»Nick?« Sie klang ein wenig atemlos, als wäre sie gerannt. »Geht es Ihnen gut?«
»Prima«, sagte Nick. »Habe ich Spritzen bekommen, während ich bei Ihnen war?«
»Ich glaube nicht – man hatte Ihnen doch einen Zugang gelegt.«
»Was war in der Notaufnahme?«, fragte Nick. »Zum Beispiel direkt durch einen Ärmel.«
»Durch den Ärmel?«, wiederholte Billie. »Das würde nicht passieren. Worum geht es denn?«
»Das Loch in meinem dunkelblauen Anzug«, sagte er.
Ein langes Schweigen folgte. »Was halten Sie davon, wenn ich nach der Arbeit bei Ihnen vorbeikomme?«, schlug Billie vor.
»Das wäre gut.«
Nick rasierte sich, duschte, zog saubere Sachen an, schloss seinen Gürtel im hintersten Loch, brauchte eigentlich ein oder zwei mehr. Aber aus gewissen Winkeln sah er genauso aus wie immer, oder zumindest fast. Und sein Haar wuchs wieder üppig;
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