Außer Atem - Panic Snap
dunklen Abgrund hinab. Ihr müdes, zermürbtes Gesicht bewölkt sich.
»Hat James sie jemals gemalt?«, frage ich nur deshalb, damit sie weiter spricht.
Sie runzelt verwirrt die Stirn. »Sie gemalt?«, wiederholt sie. »Nein, James malt keine Porträts.«
»Und was ist...« Ich breche ab. Ich vermute, dass Gina von den Bildern im Schuppen weiß. Vielleicht steckt da ja doch noch ein Geheimnis dahinter.
Gina sagt: »Porträts, Landschaften und Stillleben – das ist meinem Bruder alles zu fade. Sie haben doch die Bilder an seinen Wänden gesehen. Tod und Zerstörung, das sind seine starken Seiten.«
»In Ihrem Haus hängt eine Landschaft«, sage ich.
»Die hat er nicht gemalt.«
»Nein, ich meine das Bild in Ihrem Wohnzimmer. Das Bild vom Weingarten.«
Gina schüttelt den Kopf. »Er hat es nicht gemalt. Das ist ein Bild von mir.«
Ich sehe sie einen Augenblick lang verwirrt an. Dann überfällt mich die Erkenntnis – alle Bilder, die in James' Haus hängen, sind mit J. McG. signiert. Die Weingartenbilder und die Bilder von mir, die sich in den Kisten befanden, sind nicht signiert.
Ich weiche zurück, als mir klar wird, was das bedeutet. Die Bilder in den Kisten, Dutzende und alle von mir – hat alle Gina gemalt und nicht James. Die Besessene – und die Schuldige – ist sie. Als ich jetzt darüber nachdenke, fällt mir auf, dass James mir niemals ausdrücklich gesagt hat, dass er der Maler war. Die Dunkelheit in der Kellerei fängt an, mich zu bedrängen. Panik packt mich wie eine Faust und ballt sich in meiner Brust zusammen. Langsam weiche ich zurück.
»Was ist los?«, fragt Gina. Sie macht einen Schritt auf mich zu, und ihre Hand schließt sich um mein Handgelenk.
Das Bild von Anna steht mir vor Augen, wie sie dort unten mit zerschmettertem Körper lag. Dann sehe ich mich selbst auf dem Betonboden liegen. Gina wird mich über das Geländer stoßen – wie sie es schon einmal getan hat. Ihre Hand umklammert noch immer meine.
»Sie haben mich vor fünfzehn Jahren fast getötet«, sage ich. »Sie haben mein Gesicht zerschmettert. Das haben Sie mir angetan.«
Ich sehe den Blick in ihren Augen – die Verwirrung, die sich in Schock verwandelt, als ihr klar wird, wer ich bin – doch sie lässt meinen Arm nicht los. »Ja«, sagt sie mit geisterhaftem Flüstern, während ihre Hand mich noch fester umklammert, »ja, das habe ich Ihnen angetan.«
Noch ehe sie Zeit zum Reagieren hat, ramme ich sie so hart ich kann. Sie gibt ein lautes
Uuuufff!
von sich und stolpert rückwärts. Ich drehe mich um und will wegrennen.
»Nein«, höre ich sie keuchen. »Nein...«, und dann fühle ich, wie ihre Hand mich an der Schulter packt, mich zurückzerrt und ihre Arme sich um meine Taille schlingen. Ich versuche, mich frei zu kämpfen, drücke sie mit plötzlich aufbäumender Kraft zurück, und wir beide krachen gegen den gegenüberliegenden Handlauf. Dann stürze ich hintenüber, meine Füße gleiten aus, während Ginas Arme noch immer um mich geschlungen sind und mich festhalten. Und ich sehe, dass ich zu stark geschoben habe, dass wir beide über den Handlauf fliegen, über die Absperrung fallen und hinunterfallen werden, als ihre Arme sich doch noch von mir lösen. Ich höre einen Schrei – meinen oder ihren? vielleicht unser beider –, während ich mit den Armen rudere, mich aufrappele, wild um mich greife. Alles ist ein Gewirr aus Bewegung und Geräuschen, aus wildem Zugreifen, Schreien, und ihr Körper fliegt hinunter. Alles geschieht so schnell, im Bruchteil einer Sekunde, doch irgendwie habe ich es geschafft, einen seitlichen Pfosten zu erwischen und mich daran festzuhalten, während ich das schwere Stampfen von Schritten höre und den dumpfen Aufschlag eines Körpers. Und ich umarme den Pfosten, atme scharf ein, während meine Beine und mein Oberkörper in der Luft hängen. Ich schnappe nach Luft, kann kaum mehr atmen, mein Herz rast, und meine Gedanken zerfallen zu einzelnen Bildern, zu bruchstückartigen Bedeutungen. Gina ist abgestürzt. Der Aufschlag. Schritte? Wessen? Blut hämmert mir in den Ohren und pocht. Ich versuche, mich hochzuziehen, doch ich hänge zu weit über – und ich habe viel zu viel Angst, eine Hand loszulassen, um zurückzuschwingen. Ich umarme den Pfosten nur noch fester. Er gräbt sich in meine Arme ein, und die scharfen Kanten bohren sich in mein Fleisch. Das Donnern in meinen Ohren hört nicht auf, und dann merke ich, dass nicht das Blut in mir hämmert, sondern Schritte, die
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